Mario Sedlak
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Überfüllung zum Ausgleich der Verdunstung außerhalb der Heizperiode

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Das gleiche Verdunstungsröhrchen nach einem Jahr – ohne dass der Heizkörper je in Betrieb war!

Kaltverdunstung bei Heizkostenverteilern

Zur Abrechnung von Heizkosten (z. B. bei der Fernwärme) werden Röhrchen mit einer Flüssigkeit an den Heizkörpern angebracht. Je heißer der Heizkörper, desto wärmer wird die Flüssigkeit und desto schneller verdunstet sie. Allerdings verdunstet die Flüssigkeit auch dann, wenn der Heizkörper gar nicht aufgedreht ist, insbesondere auch im Sommer. Das nennt man "Kaltverdunstung".

Kaltverdunstungsvorgabe

Um die Verdunstung außerhalb der Heizperiode auszugleichen, wird mehr Flüssigkeit eingefüllt. Bei mir sind das ca. 1,2 Teilstriche. Dadurch steht die Flüssigkeit Anfang September bis spätestens Anfang Oktober (je nachdem, wie heiß der Sommer war) ziemlich genau bei 0.

2–3 Monate der heizfreien Zeit sind damit ausgeglichen. Was ist aber mit dem Rest? In Wien braucht man laut Wetterdaten an 188 Tagen (≈ 6 Monate) keine Heizung. Allein vom Ende der Heizperiode im April bis zur Ablesung im Juni verdunsten ca. 0,5 Teilstriche pro Heizkörper, ohne dass er in Betrieb ist. Verrechnet mir da mein Fernwärme-Lieferant (Wien Energie) die Sonnenenergie? Darf er das?

Rechtsgrundlage

Laut den Normen DIN 4713 und EN 835 soll die sogenannte Überfüllung für die gesamte heizfreie Zeit von (mindestens) 120 Tagen reichen. Dann dürfte diese nicht schon nach 70–100 Tagen aufgebraucht sein – aber es gibt einen Haken! In der Norm steht: "120 Tage bei 20°C". Also muss ich doch für die Sommerwärme zahlen!?

Gelebte Praxis

Bei der Ablesung wird meist (mehr oder weniger großzügig) abgerundet. Dadurch wird die normgerechte, aber unzureichende Kaltverdunstungsvorgabe gerade so weit ergänzt, dass der Kunde nicht sagen kann, dass er für Sommerwärme Heizkosten zahlen muss. Meines Erachtens wäre die Verrechnung von nicht erbrachter Leistung sittenwidrig und eine Beschwerde beim Landeshauptmann oder gerichtlich möglich.

Vergangenheit

Die Fernwärme-Abrechnung muss per Gesetz auch Daten für das gesamte Haus enthalten. Für den Bundesländerhof, in dem ich wohne, zeigen diese Daten einen unerklärlichen Anstieg der abgelesenen Teilstriche ab 2013/2014 bei relativ konstanter gesamt gelieferter Wärmemenge. Bis 2012/2013 waren es typischerweise 0,45–0,61 MWh pro Teilstrich. 2013/2014 sprang der Wert auf 0,42 MWh pro Teilstrich und sank kontinuierlich bis auf 0,30 MWh pro Teilstrich 2019/2020. Gleichzeitig haben sich die bei mir abgelesenen Teilstriche mehr als verdoppelt, obwohl sich mein Heizverhalten nicht geändert hat. Ich muss fast nie aufdrehen. Anscheinend gibt es seit 2013/2014 eine höhere Kaltverdunstung oder geringere Kaltverdunstungsvorgabe. Genau seit dieser Heizperiode sind Verdunstungsröhrchen von der Firma Ista im Einsatz. Zuvor rechnete Techem ab.

2012 schrieb Wien Energie auf ihrer Website:

Sollte sich zu Beginn der Heizperiode [zirka Mitte September] der Flüssigkeitsstand unter der Nullmarke befinden, besteht kostenlos die Möglichkeit, diese Röhrchen zu ersetzen, bzw. eine Zwischenablesung durchzuführen.

So einen Passus finde ich jetzt nicht mehr. Meine telefonische Nachfrage bei Wien Energie am 10.10.2017 ergab, dass sie jetzt die Röhrchen nur noch tauschen, wenn schon Mitte August die Nulllinie unterschritten ist.

Mein Fazit

So sieht ein Gesetz aus, wenn die Industrie es sich selber schreiben kann. (Die Normen haben Gesetzes-Charakter, obwohl sie gar nicht öffentlich einsehbar sind, weil die Texte kostenpflichtig sind – wahrscheinlich auch kein blöder Schachzug, denn so gibt es weniger lästige "Querulanten", die deren Sinnhaftigkeit überprüfen und hinterfragen können.)

Die immer höhere Kaltverdunstung und der verschwundene Passus über die garantierte Überfüllung bis Mitte September deuten darauf hin, dass "hinter den Kulissen" an allen möglichen Rädchen gedreht wurde, damit die Fernwärme trotz massiver Preiserhöhungen weiterhin konkurrenzfähig bleibt. (Die Umverteilung zulasten der begünstigten Mittelwohnungen, die kaum mehr als Kaltverdunstung haben, dämpft den Preisanstieg für die, die viel heizen müssen. Allerdings werden Erstere dann immer häufiger die Fernwärme kündigen.)

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Umstellung auf elektronische Zähler an den Heizkörpern

Seite erstellt am 6.6.2019 – letzte Änderung am 2.9.2024