Kardinalitäten wenn das Auswahlaxiom nicht gilt
Wenn wir uns vom Auswahlaxiom verabschieden
- bleibt für wohlgeordnete (oder wohlordenbare) Mengen alles beim Alten
- aber für nicht wohlordenbare Mengen wird’s kompliziert:
- Nach der üblichen Definition von Kardinalität sind nicht wohlordenbare Mengen weder größer noch kleiner und schon gar nicht „gleich groß“ wie eine wohlgeordnete Menge („unvergleichbare“ Mengen).
- Es kann nicht-
wohlordenbare Mengen geben, deren Kardinalitäten eine unendlich absteigende Kette bilden (|A| > |B| > |C| > ...). Es muss also nicht jede Menge von Kardinalitäten ein Minimum haben. (D. h. die Kardinalitäten haben keine wohlfundierte Ordnung.)[1] - Der Vergleich der Kardinalität von Mengen kann sogar auf jede beliebige Halbordnung führen.[2]
- In dieser Halbordnung kann eine Menge eine echte Klasse an unmittelbaren Nachfolgern haben.[3]
- Es lassen sich keine „Musterbeispiele“ (Kardinalzahlen) für alle nicht wohlordenbaren Mengen definieren.[4]
- Viele Formeln für das Rechnen mit Kardinalitäten gelten nicht mehr. Z. B. kann die Vereinigung von 2 Mengen eine Menge mit größerer Kardinalität als jede der beiden Ausgangsmengen ergeben. (Die Vereinigungsmenge heißt dann zerlegbar.[5] Alle nicht wohlordenbaren Mengen können zerlegbar sein.[6]) Formeln, die noch gelten, lassen sich meist schwer beweisen.[7]
- Die Menge aller endlichen Folgen von Elementen einer Menge M kann
Fazit
Kardinale können sich wie ein Haufen unbeaufsichtigter Jugendlicher in einem Haus voller Alkohol verhalten.[10]
Neue Begriffe
Diese machen nur Sinn, wenn das Auswahlaxiom nicht gilt. (Wenn es gilt, ergeben sie nichts Neues.)
formal | ||
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Abk. | Definition | |
Vergleich von Kardinalitäten mit surjektiven Funktionen (statt, wie üblich, mit injektiven Funktionen) | |A| ≤* |B| | ⇔ ∃ Surjektion von B auf A |
Hartogs- | ℵ(A) | = min{Ordinal α | |α| ≰ |A|} |
Lindenbaum- | ℵ*(A) | = min{Ordinal α | |α| ≰* |A|} |
Eine Menge ist Dedekind- | ℵ0 ≰ |A| |
Bezeichnungen
Der Wortgebrauch ist nicht einheitlich:
- Manchmal werden nur Alephs als Kardinale oder Kardinalzahlen bezeichnet. Sonstige – also nicht wohlgeordnete – Mengen haben „keine Kardinalzahl, sondern nur eine Mächtigkeit.“[11]
- Häufiger werden Kardinale, Kardinalzahlen, Kardinalitäten und Mächtigkeiten gleichbedeutend für beliebige Mengen verwendet (oder genauer: für Äquivalenzklassen von gleich mächtigen Mengen).[12]
Ich verwende Kardinalitäten und Mächtigkeiten als Oberbegriff für beliebige Mengen. Für Mächtigkeiten, mit denen man rechnen kann (insbesondere für Alephs und Beths), verwende ich auch den Begriff Kardinalzahlen.
Typische Formelbuchstaben
𝔩, 𝔪, 𝔫, ... | (Fraktur-für beliebige Kardinalitäten
| λ, μ, ν, ...
| (griechische Buchstaben)
| für wohlgeordnete Kardinalitäten (Alephs)
| selten: ℵ
| (Aleph ohne Index)
| α, β, γ, ...
| (griechische Buchstaben)
| für Ordinalzahlen
| |
Weiter
Siehe auch
- Kardinalitäten unter dem Determiniertheitsaxiom – Sind ein Beispiel dafür, wie Kardinalitäten ohne Auswahlaxiom aussehen können.
Weblinks
- Denis I. Saveliev: A Note on Singular Cardinals in Set Theory without Choice (PDF) – Ist auch eine kompakte, übersichtliche Einführung in Kardinalitäten ohne Auswahlaxiom.
Quellen
[1] | Asaf Karagila: Cofinality and the axiom of choice – „without the axiom of choice neither of these orders need [to] be well-[2]
|
|
[3]
| Asaf Karagila auf StackExchange – „it is consistent that there is a proper class of 1-successors to ℵ0.“
| [4]
| Asaf Karagila auf StackExchange – „It is consistent with ZF that no choice of canonical representatives exist. Namely, there is no definable class- | 1. C(X) = C(Y) ⇔ |X|=|Y|; 2. |C(X)| = |X|“ [5]
| G. P. Monro: Decomposable cardinals (PDF), S. 1 – „An infinite cardinal m is decomposable if there exist cardinals p, q < m such that p + q = m. Well- | [6]
| Asaf Karagila: Cofinality and the axiom of choice – „It is consistent that every non well- | [7]
| Thomas J. Jech: The Axiom of Choice (PDF), 1973, S. 156 (im PDF S. 161) – „If the Axiom of Choice is not used, the cardinal arithmetic lacks the simplicity of the cardinal arithmetic with the Axiom of Choice. Many formulas are no longer true, and those that remain true become very often hard to prove.“
| [8]
| Lorenz Halbeisen und Saharon Shelah: Relations between some Cardinals in the Absence of the Axiom of Choice (PDF), S. 2 – „it is possible that there exists an infinite set m such that the cardinality of the set of all finite sequences of m is strictly smaller than the cardinality of the set of all finite subsets of m.“
| [9]
| Lorenz Halbeisen und Saharon Shelah: Relations between some Cardinals in the Absence of the Axiom of Choice (PDF), S. 2 – „it is also possible that there exists an infinite set m’ such that the cardinality of the set of all finite sequences of m’ is strictly bigger than the cardinality of the power- | [10]
| Asaf Karagila im Diskussionsforum StackExchange – „cardinals can behave like a bunch of unsupervised teenagers in a house full of alcohol.“
| [11]
|
|
[12]
| Siehe z. B.
|