Ultrafilter
Ultrafilter sind ein mathematisches Konstrukt, das in der Mengenlehre, Modelltheorie, Topologie, Algebra und unendlichen Kombinatorik verwendet wird. Der Begriff ist sogar Mathematikern nicht allgemein bekannt – auch bei einem Mathematik-
Formale Definition
Eine Familie ℱ von Teilmengen einer festen Menge M heißt Ultrafilter, wenn gilt:
formal | ||
---|---|---|
(1) | Die leere Menge gehört nicht zur Familie. | ∅ ∉ ℱ |
(2) | Schnittmengen von 2 „Familienmitgliedern“ gehören ebenfalls zur Familie. | A ∩ B ∈ ℱ ∀A, B ∈ ℱ |
(3) | Für jede Teilmenge von M gehört entweder sie oder ihr Komplement zur Familie. | A ∈ ℱ ⇔ M \ A ∉ ℱ |
Aus diesen Bedingungen ergibt sich weiters:
formal | folgt aus | ||
---|---|---|---|
(4) | Die ganze Menge M gehört zur Familie. | M ∈ ℱ | ⇐ (1) und (3) |
M darf daher nicht leer sein. | M ≠ ∅ | ||
(5) | Je 2 (und damit auch endlich viele) Familienmitglieder haben gemeinsame Elemente. | A ∩ B ≠ ∅ ∀A, B ∈ ℱ | ⇐ (1) und (2) |
(6) | Wenn eine Menge zur Familie gehört, dann auch jede Obermenge von ihr. | A ∈ ℱ,
A ⊆ B ⊆ M | ⇐ (3) und (5)[2] |
(7) | Die Vereinigung eines Familienmitglieds mit einer beliebigen Teilmenge von M gehört ebenfalls zur Familie. | A ∪ B ∈ ℱ ∀A ∈ ℱ und B ⊆ M | ⇐ (6) |
Anschaulichere Definition
Ein Ultrafilter teilt alle Teilmengen von M in „große“ und „kleine“ ein. Die Teilmengen, die im Ultrafilter enthalten sind, können als „groß“ erachtet werden.[3]
Fixierte Ultrafilter
Wenn die Schnittmenge aller Familienmitglieder in einem Ultrafilter nicht leer ist, dann wird der Ultrafilter „fixiert“ genannt. Fixierte Ultrafilter sind trivial und uninteressant.[4] Sie bestehen aus allen Teilmengen, die ein bestimmtes Element enthalten.[5]
Freie Ultrafilter
Alle Ultrafilter, die nicht fixiert sind, nennt man „frei“. Freie Ultrafilter enthalten ausschließlich unendliche Mengen.
Konstruktion
Einen freien Ultrafilter kann man nicht explizit angeben![6]
Was man machen müsste:
- Ausgangspunkt sind alle Mengen, deren Komplement endlich ist (Fréchet-
Filter ). Diese müssen in jedem freien Ultrafilter enthalten sein, da endliche Mengen einen fixierten Ultrafilter ergeben würden. - Es gibt aber unendliche Mengen, deren Komplement ebenfalls unendlich ist, z. B. die geraden Zahlen als Teilmenge aller natürlichen Zahlen. Wir müssten für jede solche Menge entscheiden, ob sie zum Ultrafilter gehört oder nicht. Einige Mengen sind durch frühere Entscheidungen und die Ultrafilter-
Eigenschaften bereits entschieden, aber es sind dennoch überabzählbar viele Mengen zu entscheiden.[7]
Hierfür lässt sich kein Algorithmus angeben, aber es lässt sich zeigen, dass eine vollständige Entscheidung für alle Mengen existiert. Der Beweis ist ähnlich wie der Beweis, dass jeder Vektorraum eine Basis hat – wenn diese überabzählbar ist, kann sie i. A. ebenfalls nicht mehr explizit angegeben werden. In beiden Beweisen wird das Lemma von Zorn verwendet, welches äquivalent zum Auswahlaxiom ist. In der Mengenlehre ZF, wo das Auswahlaxiom fehlt, gibt es keine freien Ultrafilter (genauer: deren Existenz ist in ZF weder beweisbar noch widerlegbar).[8]
Meine Schlussfolgerung
Die Vorstellung, dass alle Mengen im Ultrafilter „groß“ sind, passt nicht ganz. Warum sollen z. B. die Menge der geraden Zahlen „groß“ und die Menge der ungeraden Zahlen „klein“ sein?
Eigenschaften
- Mit jedem freien Ultrafilter auf den natürlichen Zahlen lässt sich eine unmessbare Menge von reellen Zahlen definieren. – Das lässt erahnen, dass freie Ultrafilter schwer zu beschreiben sind.[9]
- Die in einem freien Ultrafilter enthaltenen Familienmitglieder bilden keine „gutartige“ Menge (mit Baire-
Eigenschaft ).[10]
Mein Bezug zu Ultrafiltern
Ich habe von Ultrafiltern erstmals bei großen Kardinalzahlen, die messbar sind, gelesen. Zunächst konnte ich mir nicht vorstellen, was ein Ultrafilter ist und wie die Menge der natürlichen Zahlen messbar sein kann. Erst durch das Vorstellungsbild von den „großen“ Mengen und die Nichtkonstruierbarkeit habe ich das verstanden.
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Quellen
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[2] | Wenn eine Obermenge von A nicht zur Familie gehören würde, dann müsste nach (3) ihr Komplement zur Familie gehören. Dieses enthält A nicht. Folglich wäre die Durchschnittsmenge von A mit diesem Komplement leer, was (5) widerspräche. | ||||||||||||
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[4] | Large Cardinals (PDF), Studentenarbeit, S. 14 (im PDF S. 15) – „If ⋂U is non-[5]
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| englische Wikipedia, Artikel „Ultrafilter on a set“, Abschnitt „The ultrafilter lemma“ – „While free ultrafilters can be proven to exist, it is not possible to construct an explicit example of a free ultrafilter (using only ZF and the ultrafilter lemma); that is, free ultrafilters are intangible.“
| [7]
| Andreas Blass und Nicholas Rupprecht: Ultrafilters and Cardinal Characteristics of the Continuum (PDF), S. 3 – „Well- | recursion along this well- [8]
| Encyclopedia of Mathematics: Ultrafilter – „The existence of free ultrafilters is unprovable without the axiom of choice.“
| [9]
| Encyclopedia of Mathematics: Ultrafilter – "To see that free ultrafilters are hard to describe, consider the mapping that assigns to each subset A of ℕ the number xA = Σn∈A 2- | [10]
| Diskussionsbeitrag auf Reddit – „nonprincipal ultrafilters do not have the Baire property“
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