Große Kardinalzahlen
Große Kardinalzahlen werden nicht für üblicherweise in der Mathematik vorkommende Mengen gebraucht, sondern um ihrer selbst willen studiert, wobei es dann doch überraschende Konsequenzen für Mengen von reellen Zahlen etc. gibt.
Die Mengen, die mit großen Kardinalzahlen beschrieben werden, sind auch für Mathematiker nicht mehr vorstellbar, aber man kann ihre Eigenschaften beschreiben und formal mit den Kardinalzahlen rechnen.
Was sind Kardinalzahlen?
Jede unendliche Kardinalzahl kann als Aleph-
Konventionen
- Eine Kardinalzahl wird nicht nur als Zahl aufgefasst, mit der Typen von unendlichen Mengen durchnummeriert werden, sondern auch als Beispiel für so eine Menge (nämlich die kleinste Ordinalzahl mit dieser Mächtigkeit).
- Manchmal wird eine Kardinalzahl auch als Index, der eine Ordinalzahl sein sollte, eingesetzt. – Einige Mathematiker halten das für einen Fehler. Ich versuche auch, das zu vermeiden, aber es gelingt nicht immer (bei den Fixpunkten wie κ = ℵκ, siehe unten).
Beispiele
Eigenschaft | Beschreibung | Relevanz |
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ℵω | Grenzwert (Vereinigungsmenge) der Folge ℵ0, ℵ1, ℵ2, ... | Kann in der Mengenlehre Z nicht konstruiert werden. Ebenso in dem exotischen Axiomensystem ETCS |
ℵω1 | Vereinigung aller ℵα mit abzählbarer Ordinalzahl α als Index | |
ℵωω | Grenzwert (Vereinigungsmenge) der Folge ℵω1, ℵω2, ℵω3, ... | |
kleinster Fixpunkt der Aleph-
| Grenzwert (Vereinigungsmenge) der Folge ℵω, ℵωω, ℵωωω, ... Normalerweise ist die zugrunde liegende Menge deutlich größer als der Index, aber bei einem Fixpunkt ist die Kardinalität gleich (κ = ℵκ). – In den Tiefen der Unendlichkeit hat der Index aufgeholt. (Überholen kann er nicht.[1])
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Die folgenden, noch größeren Kardinalzahlen können nicht mehr explizit angegeben werden. Es kann nicht einmal bewiesen werden, dass es sie gibt![2] Mathematiker nehmen dennoch ihre Existenz an, da sich eine reichhaltige und anscheinend widerspruchsfreie Theorie aus ihnen ergibt, die einige sonst unentscheidbare Fragen beantworten kann.[3]
Eigenschaft | Beschreibung | Relevanz | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
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weltlich |
überabzählbare Menge κ, die nicht „Menge aller Teilmengen“ einer kleineren Menge ist und nicht durch Vereinigung von weniger als κ vielen definierbaren Mengen mit Kardinalität kleiner als κ gebildet werden kann Ist ein Fixpunkt der Beth- | Kann in der üblichen Mengenlehre (ZFC) nicht konstruiert werden. | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
unerreichbar |
weltliche Kardinalzahlen, die weder mit definierbaren noch mit irgendwelchen theoretisch vorhandenen kleineren Mengen gebildet werden können (Da es nur abzählbar viele mathematische Ausdrücke gibt, können nur abzählbar viele Mengen definiert werden.) Eine unerreichbare Kardinalzahl muss ein Fixpunkt κ der Beth- Ebenso bilden die weltlichen Kardinalzahlen, die kleiner als die unerreichbare Kardinalzahl κ sind, eine Menge mit der Kardinalität κ. Der Grenzwert (Vereinigungsmenge) aller dieser weltlichen Kardinalzahlen ist gleich κ. |
Kann in der Mengenlehre ZFC2 nicht konstruiert werden. Genau dann, wenn es keine unerreichbare Kardinalzahl gibt, lässt sich auch ohne Auswahlaxiom die Existenz einer unmessbaren Menge reeller Zahlen beweisen.[4] | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
1- | Eine unerreichbare Kardinalzahl κ, und alle kleineren unerreichbaren Kardinalzahlen bilden selbst eine Menge mit der Kardinalität κ. | Kann nicht erreicht werden, indem man von einer Menge zur nächstgrößeren unerreichbaren übergeht. | |||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
2-Eine unerreichbare Kardinalzahl κ, und alle kleineren 1- |
| 3- | Eine unerreichbare Kardinalzahl κ, und alle kleineren 2- |
| ω-unerreichbar
| = n- |
| (ω + 1)- | Eine unerreichbare Kardinalzahl κ, und alle kleineren ω- |
| hyper- | Eine unerreichbare Kardinalzahl κ, die κ- |
| 1- | Eine unerreichbare Kardinalzahl κ, und alle kleineren hyper- |
| hyper- | Eine hyper- |
| Mahlo
| unerreichbar, hyper- |
| 1- | Eine Mahlo- | Gewisse Aussagen (Borel- | hyper- | Eine Kardinalzahl κ, die κ- |
| schwach kompakt
| Mahlo, hyper- | Wenn es eine schwach kompakte Kardinalzahl gibt, dann kann man annehmen, dass jeder Baum aus ℵ2 vielen Knoten, bei dem jede Stufe aus weniger als ℵ2 vielen Knoten besteht, einen Zweig der Länge ℵ2 haben muss.[5] (= ℵ2 hat die Baumeigenschaft = Es gibt keinen ℵ2- | total unbeschreibbar
| Jede Eigenschaft einer unbeschreibbaren Kardinalzahl, die man durch einen beliebig komplexen (endlichen) logischen Ausdruck definieren kann, liegt bereits bei einer kleineren Kardinalzahl vor.
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| messbar
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| Eine messbare Kardinalzahl κ erlaubt eine Einteilung aller ihrer Teilmengen in „große“ und „kleine“ mit den Eigenschaften:
Wenn κ eine messbare Kardinalzahl ist, dann bilden alle kleineren Kardinalzahlen, die unerreichbar sind, selbst eine Menge mit der Kardinalität κ. Ebenso die kleineren Kardinalzahlen, die schwach kompakt sind Wenn es eine messbare Kardinalzahl gibt, dann sind alle Mengen von reellen Zahlen, die üblicherweise in der Mathematik auftreten (projektive Mengen), messbar.[6]
| Woodin
| Eine Woodin- | Wenn es unendlich viele Woodin- | stark kompakt
| eine messbare Kardinalzahl, die durch unendlich lange logische Ausdrücke beschrieben werden kann (und bestimmte weitere Eigenschaften hat)
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| superkompakt
| eine stark kompakte Kardinalzahl, bei der man alle größeren Kardinalzahlen „verschieben“ kann
| Wenn es superkompakte Kardinalzahlen gibt, dann ist jede „vernünftigerweise“ (ohne Auswahlaxiom) definierbare Menge von reellen Zahlen messbar.[7]
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Weitere Beispiele auf „Cantors Dachboden“ (englisch, für Mathematiker)
Varianten
- Wenn die verallgemeinerte Kontinuumshypothese nicht gilt, dann muss man zwischen schwach und stark unerreichbaren Kardinalzahlen unterscheiden. (Bei den schwachen nimmt man immer nächstgrößere Kardinalitäten; bei den starken die Menge aller Teilmengen der vorangegangenen Menge.)
- Die Benennung mancher Kardinalzahlen ist nicht einheitlich.
- Wenn das Auswahlaxiom nicht gilt, gelten die hier gelisteten Beispiele nur für Mengen, die sich wohlordnen lassen. Andere sind u. U. mit keinem Aleph vergleichbar. D. h. die Kardinalzahlen bilden dann nicht mehr eine einzelne aufsteigende „Linie“, sondern sind sehr kompliziert. Was da alles „passieren“ kann, ist noch gar nicht bekannt.[8]
Meine Meinung
Große Kardinalzahlen sind wohl die extremste Erweiterung des Zahlenbegriffs. Hier kann man sich kaum noch ein Bild von der Größenordnung der „Zahlen“ machen, und zunächst erscheinen sie wie abstrakter Nonsens. Doch das liegt daran, dass sie die „Beweisstärke“ von Erweiterungen der gängigen Mengenlehre – dem Fundament der gesamten Mathematik – codieren. Da kann man nicht erwarten, dass alles so klar und übersichtlich wie bei den reellen Zahlen ist.
Weiter
Weblinks
- The n-Category Café – Verwendet zwar eine exotische Mengenlehre (ETCS), ist aber dennoch eine relativ gut lesbare Einführung in die großen Kardinalzahlen.
Literatur
- Akihiro Kanamori: The Higher Infinite. Large Cardinals in Set Theory from their Beginnings, Springer-
Verlag, 2. Auflage 2003 – Wird häufig zitiert oder empfohlen. Scheint eine Standardquelle zu sein.
Quellen
[1] | Frank R. Drake: Set Theory. An Introduction to Large Cardinals. Amsterdam: North-[2]
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[3]
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[4]
| Theoreme von Solovay und Shelah, zitiert im Diskussionsforum MathOverflow: „Solovay and Shelah have proved that the possibility of constructing a non- | [5]
| Frank R. Drake: Set Theory. An Introduction to Large Cardinals. Amsterdam: North- | [6]
| Joan Bagaria: A Short Excursion to Cantor’s Paradise (übersetzt aus dem Katalanischen) – „if there is a measurable cardinal, then all Σ12 sets of reals are Lebesgue measurable. ... all sets of real numbers appearing normally in mathematical practice are projective“
| [7]
| Englische Wikipedia, Solovay model, Abschnitt Complements: „Shelah & Woodin (1990) showed that if supercompact cardinals exist then every set of reals in L(ℝ), the constructible sets generated by the reals, is Lebesgue measurable and has the Baire property; this includes every ,reasonably definable‘ set of reals.“
| [8]
| Frank R. Drake: Set Theory. An Introduction to Large Cardinals. Amsterdam: North- | |