Mario Sedlak
Mathematik
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Ordinalzahlen

Ordinalzahlen beschreiben die Position erste, zweite, dritte, ...

In der Mathematik wird diese "Zählvorschrift" auf unendliche Mengen, die eine Größer-Kleiner-Beziehung wie bei den natürlichen Zahlen haben, ausgedehnt. D. h.:

Bezeichnung

Solche Mengen heißen in der Fachsprache wohlgeordnet.

Die Ordinalzahlen werden auch Ordnungszahlen genannt. Unendliche Ordinalzahlen bezeichnet man auch als transfinite Ordinalzahlen. Statt Ordinalzahl(en) sagt man auch kurz Ordinal(e).

Von Ordinalzahlen spricht man, weil man mit ihnen rechnen kann (und dadurch neue Ordinale, d. h. Wohlordnungen erhält).

Beispiele

Abk. Beschreibung Veranschaulichung
1 endliche Folgen von natürlichen Zahlen 1
2 1 < 2
3 1 < 2 < 3
ω alle natürlichen Zahlen (ℕ) 1 < 2 < 3 < ...
ω + 1 alle natürlichen Zahlen und noch ein weiteres Element, das größer als alle diese natürlichen Zahlen ist 1 < 2 < 3 < ... < 1'
ω + 2 und noch ein Element 1 < 2 < 3 < ... < 1' < 2'
ω + ω

= ω·2

2 Kopien von natürlichen Zahlen hintereinander 1 < 2 < 3 < ... < 1' < 2' < 3' < ...
ω·ω

= ω2

abzählbar unendlich viele Kopien der natürlichen Zahlen hintereinander 1 < ℕ2 < ℕ3 < ...

(Es bleiben in Summe abzählbar viele Elemente, aber ω2 hat unendlich viele "Häufungspunkte", während ω keinen hat. In ω2 kann ich unendlich lang um 1 raufzählen und erreiche dennoch nicht alle Elemente.)

ω2 + ω abzählbar unendlich viele Kopien der natürlichen Zahlen (ohne größte) und dann eine Kopie als größte 1 < ℕ2 < ℕ3 < ... < ℕω

(Wie ω + 1, aber jede Zahl ist durch eine Kopie von ℕ ersetzt worden.)

ω3 abzählbar unendlich viele Kopien von ω2 1 < ℕ2 < ... < ℕ1,1 < ℕ1,2 < ... < ℕ2,1 < ℕ2,2 < ...

(Zuerst kommt ω2, dann ist der erste Index die Nummer der Kopie und der zweite Index stammt von ω2.)

ω4 abzählbar unendlich viele Kopien von ω3 1 < ℕ2 < ... < ℕ1,1 < ℕ1,2 < ... < ℕ2,1 < ℕ2,2 < ...

1,0,1 < ℕ1,0,2 < ... < ℕ1,1,1 < ℕ1,1,2 < ... < ℕ1,2,1 < ℕ1,2,2 < ...
2,0,1 < ℕ2,0,2 < ... < ℕ2,1,1 < ℕ2,1,2 < ... < ℕ2,2,1 < ℕ2,2,2 < ...
(Zuerst kommt ω3, dann ist der erste Index die Nummer der Kopie und die anderen Indizes stammen von ω3.)

ωω Grenzwert (Vereinigungsmenge) der Folge ω, ω2, ω3, ω4, ... Entspricht endlichen Folgen von natürlichen Zahlen, aufsteigend geordnet (vgl. Indizes bei ω4 oben).
ε0 Grenzwert (Vereinigungsmenge) der Folge ω, ωω, ωωω, ... Entspricht den endlichen Bäumen (Graphen mit einer Wurzel).
ε1

das nächste Ordinal nach ε0 mit der Eigenschaft ε = ωε

= Grenzwert (Vereinigungsmenge) der Folge ε0+1, ωε0+1, ωωε0+1, ...

Die zugrundeliegende Folge von Zahlen lässt sich kaum noch veranschaulichen.[1]
εω Grenzwert (Vereinigungsmenge) der Folge ε0, ε1, ε2, ...
φγ(α) Es lässt sich die Folge εε0, εεε0, εεεε0, ... definieren. Diese hat einen Grenzwert, der nicht mehr mit Epsilons angegeben werden kann. Man kann aber mit ihm genauso wie mit den Epsilons rechnen und damit neue, größere Ordinale definieren – bis man wieder auf so einen Grenzwert stößt. Dann kann man mit diesem weiterrechnen usw. Mit der Funktion φ werden alle diese Grenzwerte "durchnummeriert" (wobei die "Nummer" wieder ein unendliches Ordinal sein kann):

φ1(α) = εα

φ2(α) = das α-te Ordinal x mit der Eigenschaft x = εx

φ3(α) = das α-te Ordinal x mit der Eigenschaft x = φ2(x)

... (Veblen-Hierarchie oder Veblen-Funktionen)

Γ0

Grenzwert (Vereinigungsmenge) aller mit der Veblen-Hierarchie darstellbaren Ordinale

= kleinstes Ordinal x, für das φx(0) = x ist

= kleinstes (unendliches) Ordinal, das nicht mit kleineren Ordinalen beschrieben werden kann

(= Feferman-Schütte-Ordinal)

ψ0Ω+1) Größere Ordinale können definiert werden, indem man ein noch größeres, überabzählbares Ordinal (Ω) verwendet. (Die beispielhaft angegebene Formel benennt das Bachmann-Howard-Ordinal.)
ω1CK

kleinstes Ordinal, für das keine exakte, nachprüfbare Beschreibung gegeben werden kann (Church-Kleene-Ordinal)

Jede Beschreibung besteht aus endlich vielen Buchstaben. Die Menge aller möglichen Beschreibungen ist dadurch abzählbar. Die Menge aller abzählbaren Ordinale ist jedoch überabzählbar! (Beweis siehe nächste Zeile)

Größere Ordinale können nicht mehr explizit angegeben werden. Man kann sie jedoch definieren.

ω1

erste überabzählbare Ordinalzahl

= Menge aller abzählbaren Ordinale (Diese Menge ω1 ist – wie jede Vereinigung von Ordinalen – wieder ein Ordinal.[2] Wenn ω1 abzählbar wäre, dann wäre auch das größere Ordinal ω1 + 1 abzählbar. Doch als Vereinigungsmenge aller abzählbaren Ordinale müsste ω1 mindestens genauso groß sein.)

Bemerkenswert ist, dass ω1 durch keine Folge abzählbarer Ordinale erreicht werden kann, denn eine Vereinigung von abzählbar vielen abzählbaren Mengen ist wieder abzählbar.[3]

ω1 entspräche (wenn die Kontinuumshypothese gilt) einer Wohlordnung auf den reellen Zahlen. (Die übliche Ordnung ist keine Wohlordnung, da man in ihr unendlich oft absteigen kann, ohne 0 zu erreichen.) Eine Wohlordnung auf den reellen Zahlen ist mit den üblichen Axiomen der Mathematik jedoch nicht explizit konstruierbar.
Ω
ω2

erste Ordinalzahl mit größerer Kardinalität als ω1

= Menge aller Ordinale mit der Kardinalität von ω1

ωω Grenzwert (Vereinigungsmenge) von ω1, ω2, ω3, ...

Auf diese Art und Weise lassen sich beliebig große Ordinalzahlen bilden. (Die Vereinigung aller Ordinale einer bestimmten Kardinalität liefert immer ein Ordinal mit noch größerer Kardinalität.) Mathematisch untersucht scheinen jedoch hauptsächlich die abzählbaren Ordinale zu werden. Vielleicht weil bei den überabzählbaren wenig Neues passiert.

Ähnlichkeiten

Anwendungen

Mein erster Gedanke war, dass mit den Ordinalen Wohlordnungen klassifiziert werden, doch das scheint kaum ein Thema zu sein. Anscheinend treten bei mathematischen Analysen nur selten unbekannte, komplizierte Wohlordnungen auf.

In der angewandten Mathematik scheint es keine Verwendung für Ordinalzahlen zu geben.[4]

Ursprünglich ist Cantor als Erster auf die Ordinalzahlen gestoßen, als er Häufungspunkte von Mengen reeller Zahlen studierte:

Mein Bezug zu Ordinalzahlen

Ich habe im gesamten Mathematik-Studium nichts von Ordinalzahlen gehört. Das belegt anscheinend deren geringe Relevanz. Faszinierend finde ich sie trotzdem.

Schreibweise

Ich schreibe Ordinale, die für eine genau bestimmte transfinite Zahl stehen (ω, ε0, Γ0, ...), wie reelle Konstanten (e, π, ...) in aufrechter Schrift. Wird aber nicht überall so gehandhabt.

Weiter

Kardinalzahlen

Weblinks

Quellen

[1] Peter J. Cameron: Sets, logics and combinatorics (PDF), S. 52 (im PDF S. 10) – "Ordinals soon grow to a point where it is not easy to imagine the resulting sequence."
[2]
[3]
  • Jede abzählbare Menge kann mit den natürlichen Zahlen als Indexmenge durchlaufen werden.
  • Gibt es außerdem abzählbar viele Mengen, können alle Elemente mit 2 Indizes geschrieben werden: an,m. Diese Indizes können wieder erschöpfend durchlaufen werden, z. B.: 1,1 dann 2,1 dann 1,2 dann 3,1 usw. aufsteigend nach Summe beider Indizes.
[4]

Seite erstellt am 4.8.2023 – letzte Änderung am 16.11.2023