Mario Sedlak
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Mengenlehre ZFC2

Die Mengenlehre ZFC zweiter Ordnung (ZFC2) unterscheidet sich von der üblichen Mengenlehre ZFC (erster Ordnung) durch ein stärkeres Ersetzungsaxiom:

ZFC ZFC2
Wenn F(x) eine Formel mit der Unbekannten x ist, Für alle „Funktionen“ F(x)
darf man jedes Element x einer Menge durch F(x) ersetzen und erhält so eine neue Menge.

Das bedeutet:

ZFC ZFC2
  • Nur explizit definierte Funktionen können auf die Elemente einer Menge angewandt werden.
Jede theoretisch vorhandene „Funktion“ kann auf die Elemente einer Menge angewandt werden. („Funktion“ unter Anführungszeichen, weil – entgegen sonst üblicher Konvention – die Zielmenge der „Funktion“ nicht vorab definiert sein muss.)
  • Aus einer Menge können höchstens abzählbar viele andere Mengen gewonnen werden (da es nur abzählbar viele verschiedene Formeln gibt).
Das Mengenuniversum kann voll ausgeschöpft werden.
Das Mengenuniversum reicht bis vor die erste unerreichbare Kardinalzahl (die unbeschränkt viele weltliche Kardinalzahlen enthält[1]).

Eigentlich ist auch das Aussonderungsaxiom (Z7 in meiner Liste der Mengenaxiome), welches die Bildung von Teilmengen anhand einer Formel erlaubt, in ZFC2 stärker. Das wird aber meist nicht extra erwähnt, weil das Aussonderungsaxiom aus dem Ersetzungsaxiom (und anderen Mengenaxiomen) folgt[2].

Modelle

Einen großen Unterschied gibt es bei der Frage, wie die Mengen, die die Mengenaxiome erfüllen (Modelle der Mengenlehre), aussehen können, wenn man sie „von außen“ betrachtet:

ZFC ZFC2
Das Mengenuniversum muss tatsächlich (auch „von außen“ betrachtet) alle Mengen mit allen ihren Elementen enthalten,[3] mindestens bis vor der ersten unerreichbaren Menge. (Es gibt also keine abzählbaren Modelle.)
  • Das Mengenuniversum kann – von außen betrachtet – sehr unterschiedlich sein.
Bis auf die Frage, ob bzw. wie viele unerreichbare Mengen enthalten sind, sind alle möglichen Mengenuniversen gleich (Zermelos Kategoritätssatz).[4]

ZFC2 kommt also dem Wunsch, mit den Axiomen „die eine“ Mengenlehre zu beschreiben, näher als ZFC.

Verwendung

ZFC2 wird am ehesten bei der Untersuchung von großen Kardinalzahlen genannt – von weltlichen Kardinalzahlen (= Modell für ZFC) liest man viel seltener als von unerreichbaren (= Modell für ZFC2). Das heißt aber nicht, dass ZFC2 verwendet wird.

Verwendet wird ZFC2 praktisch nie, denn es gibt praktische und philosophische Einwände (siehe Argumente pro und contra ZFC2). Es ist sogar relativ wenig bekannt, dass es ZFC2 gibt und was genau der Unterschied zu ZFC ist. (Wird in Diskussionsforen immer wieder gefragt, und ich musste länger suchen, bis ich Klarheit erlangte.)

Theoretisch könnte man in ZFC2 mehr machen, weil man – wie im eingangs genannten Ersetzungsaxiom zweiter Ordnung – über beliebige anstatt nur über alle definierbaren Mengen zugleich reden kann (quantifizieren, Logik zweiter Ordnung). Das scheint aber kaum ein Thema zu sein.

Varianten

Verwirrung

Als „Mengenlehre ZFC zweiter Ordnung“ wird auch die Mengenlehre ZFC erweitert um echte Klassen bezeichnet.[8]

Weiter

Argumente

Quellen

[1] „Cantors Dachboden“: Inaccessible cardinal – „The worldly cardinals are unbounded in κ
[2] Wolfgang Rautenberg: Grundkurs Mengenlehre (PDF), S. 26 (im PDF S. 34) – Das Ersetzungsaxiom (englisch: Axiom of Replacement) „AR ... macht das Aussonderungsaxiom AS überflüssig. Wir verifizieren dies und beginnen mit dem einfachen Beweis von AS. Sei b = {xa | φ(x)} und komme y in φ nicht frei vor. Für ψ(x, y) := φ(x) ∧ y=x gilt dann offenbar ∀x≤1(x, y). Der entsprechende Operator F (im Wesentlichen die identische Abbildung), erfüllt offenbar b = {F(x) | xa}.“
[3] Hanul Jeon auf StackExchange – „the second-order power set axiom ... catches arbitrary subsets“, und das Potenzmengenaxiom zweiter Ordnung folgt aus dem Aussonderungsaxiom zweiter Ordnung, welches wiederum aus dem Ersetzungsaxiom zweiter Ordnung folgt.
[4]
  • Stanford Encyclopedia of Philosophy, Artikel „Second-order and Higher-order Logic“, Abschnitt „Second-Order Set Theory“ – Zermelo proved that the models of ZFC2 are, up to isomorphism, of the form (Vκ, ∈), where κ is (strongly) inaccessible > ω."
  • Joel David Hamkins: Categorical cardinals – „Zermelo famously characterized the models of second-order Zermelo-Fraenkel set theory ZFC2 in his 1930 quasi-categoricity result asserting that the models of ZFC2 are precisely those isomorphic to a rank-initial segment Vκ of the cumulative set-theoretic universe V cut off at an inaccessible cardinal κ.“
  • Gabriel Uzquiano: Models of Second-Order Zermelo Set Theory, The Bulletin of Symbolic Logic, 1999, S. 289 – „it is a remarkable result due to Zermelo that second-order ZF can only be satisfied in models of the form ⟨Vκ, ∈ ∩ (Vκ × Vκ)⟩ for κ a strongly inaccessible ordinal.“
  • im Diskussionsforum StackExchange – „Second-order ZFC is nearly categorical, except that it does not determine the ,height‘ of the cumulative hierarchy (intuitively speaking).“
[5] Noah Schweber auf StackExchange – „In the standard semantics, we presuppose a background set-theoretic universe and assume that all second-order quantifiers always range over the ,true‘ powerset of the domain.“
[6] Noah Schweber auf StackExchange – „Under Henkin semantics, second-order logic is just a kind of repackaging of first-order logic – a structure for second-order logic in the Henkin sense is a first-order structure together with a family of subsets of (and relations on) that structure serving as the domain of the second-order quantifiers. ... Henkin semantics, much of the time, misses the point of passing from first-order to second-order, namely that we want to bring set theory into the picture“.
[7] Noah Schweber auf StackExchange – „the syntax of second-order logic varies slightly from presentation to presentation. For example, some texts explicitly allow variables for (and hence quantification over) arbitrary-arity relations and functions, while others disallow function variables since functions can be coded by relations.“
[8]
  • Vgl. „Cantors Dachboden“, Artikel Second-order set theories – „when one needs to manipulate proper class objects, it is tempting to switch to a second-order logic form of ZFC.“
  • z. B. Kameryn J. Williams: The Structure of Models of Second-order Set Theories (PDF), Dissertation, S. 7 (im PDF S. 17) – „It should be emphasized that the ,second-order‘ in second-order set theory refers to the use of classes, not to the logic. The theories we consider here will all be formalized in first order logic.“

Seite erstellt am 7.10.2025 – letzte Änderung am 9.10.2025