Vorteile von Mengen als Grundlage der Mathematik
Die Mengenlehre ist so attraktiv, weil sie mit so wenig auskommt: Ihr einziges fundamentales Objekt ist die leere Menge.[1]
Egal, ob man glaubt, dass die Mengenlehre real existierende Objekte beschreibt oder nicht – jeder stimmt zu, dass in ihrer Einfachheit und ihrer Reichhaltigkeit eine Schönheit liegt.[2]
Die Mengentheorie stellt in erster Linie eine leistungsfähige Sprache zur Formulierung der modernen Mathematik dar.[3]
Mengenlehre dient als Verfahren zur Konfliktlösung: Falls wir über einen Beweis uneinig sind, sollten wir ihn bis auf die Ebene der Mengenlehre ausarbeiten, wo es keinerlei Konflikte geben kann. Zum Glück können in der Praxis alle Unstimmigkeiten lange, bevor man auf dieser Ebene ankommt, gelöst werden.[4]
Die Mengenlehre ist unsere beste Theorie für unendliche Zahlen.[5]
Vergangenheit
Leopold Kronecker (ein Kritiker der Mengenlehre) war überzeugt:
Die ganzen Zahlen hat der liebe Gott gemacht, alles andere ist Menschenwerk.
Dieser berühmte Ausspruch stammt aus dem Jahr 1886. Heute stimmt er nicht mehr – nur noch die leere Menge ist „Gottes Werk“. Die Vorzüge von Mengen als Grundlage der Mathematik wurden im 19. Jahrhundert noch nicht erkannt.
Dass die Mengenlehre als ein universelles Fundament für die Mathematik betrachtet werden kann, zeigte sich erst, nachdem Cantor seine Theorie in ihren wesentlichen Zügen bereits entwickelt hatte.[6]
Zuvor diente Logik zweiter Ordnung als Grundlage.
Logik zweiter Ordnung war weit verbreitet in der Logik, bis sich in den 1930ern die Mengenlehre als Grundlage der Mathematik durchsetzte.[7] (Logik zweiter Ordnung ergänzt die Sprache um „für alle Eigenschaften“, während Logik erster Ordnung nur „für alle Elemente“ sagen kann.[8])
„Eigenschaften“ entsprechen „Mengen von Elementen mit diesen Eigenschaften“. Wenn man „Mengen von Mengen“ braucht – z. B. Mengen von offenen Mengen zur Verallgemeinerung des Grenzwertbegriffs (Topologie) –, müsste man sogar auf Logik dritter Ordnung zurückgreifen.
Mein Fazit
Der entscheidende Vorteil der Mengenlehre ist, dass sie mit Logik erster Ordnung auskommt und dennoch über Objekte beliebiger „Ordnung“ reden kann.
Logik erster Ordnung hat – im Gegensatz zu Logik höherer Ordnung – eine Reihe von wünschenswerten Eigenschaften (vollständig, korrekt, kompakt, „abzählbar“, ...). Die Mengenlehre macht beliebige Mengen zu Elementen, über die die Logik erster Ordnung sprechen kann. Dieser geniale Trick ist wohl der Grund, wieso sich Mengen als Grundlage der Mathematik durchsetzen konnten – nicht allein (wie ich früher dachte), weil man jedes mathematische Objekt als Menge auffassen kann.
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Quellen
| [1] | Spektrum der Wissenschaft, 12/2016, S. 62 | ||||||||||||
| [2] | P. Cohen: „The discovery of forcing“, Rocky Mountain J. Math., 2002, S. 1071–| [3]
| Eberhard Zeidler (Hrsg.): Teubner- | [4]
| Torsten Ekedahl im Diskussionsforum MathOverflow – „Set theory ... works ... as a protocol for conflict resolution; in case we disagree over a proof we are supposed to work our way down to formal set theory where there couldn’t possibly be any conflicts. ... Luckily, in practice all disagreements are resolved long before one reaches that level.“
| [5]
| Neil Barton: Iterative Conceptions of Set (PDF), S. 13 – „Settheory provides our best theory of infinite numbers.“
| [6]
| Wolfgang Rautenberg: Grundkurs Mengenlehre (PDF), S. iii (im PDF S. 3)
| [7]
| Stanford Encyclopedia of Philosophy, Artikel „Second- | [8]
| Stanford Encyclopedia of Philosophy, Artikel „Second- | |