Wenn das Auswahlaxiom nicht gilt
(Abkürzung: ¬AC)
In der ZF-
Erwünschte Folgerungen
- Alle reellen Teilmengen sind messbar.
- Damit gibt es keine paradoxen Zerlegungen, die es erlauben würden, aus 5 (unmessbaren) Teilen einer Kugel 2 Kugeln zusammenzubauen (Banach-
Tarski- ).Paradoxon - Die Menge der reellen Zahlen lässt sich nicht so ordnen, dass jede Teilmenge ein kleinstes Element hat (d. h. der Wohlordnungssatz gilt nicht).
Unerwünschte Folgerungen
Mathematische Begriffe teilen sich in verschiedene, nicht gleichwertige Versionen auf:
- Es gibt 8 verschiedene Definitionen von endlichen Mengen, und es gibt Mengen, die nach einer Definition endlich und zugleich nach einer anderen unendlich sind.
- Geordnete Mengen, die keine unendlich absteigende Folge enthalten, müssen nicht wohlgeordnet sein.
- Bei reellen Funktionen ist zu unterscheiden, ob sie an einem Punkt folgenstetig oder Epsilon-
Delta- stetig sind. - Eine reelle Zahl kann im Abschluss einer Menge X ⊆ ℝ sein, und dennoch gibt es in X keine Folge, die gegen diese Zahl konvergiert.
- Bei einem topologischen Unterraum von ℝ ist zwischen vollständig und abgeschlossen zu unterscheiden.[1]
- Kriterien dafür, dass ein topologischer Raum kompakt ist, sind ohne Auswahlaxiom nicht mehr gleichwertig.[2]
Dadurch werden mathematische Zusammenhänge viel komplexer und unübersichtlich:
- Unendliche Mengen lassen sich nicht mehr nach der „Größe“ (Kardinalzahl) ihrer Unendlichkeit aufsteigend ordnen. (Nur noch Mengen, die sich wohlordnen lassen, haben eine Kardinalzahl. Andere können damit nicht verglichen werden.)
- Vektorräume können Basen mit verschiedener „Größe“ (Kardinalzahl) haben.[3]
- In einem Vektorraum muss kein nichttrivialer Unterraum ein Komplement haben.
- Unendlichdimensionale Vektorräume haben evtl. nur endlichdimensionale echte Unterräume.[4]
- Der Körper der rationalen Zahlen lässt sich auf verschiedene Weisen algebraisch abschließen. Der resultierende Körper kann sowohl abzählbar als auch überabzählbar sein.[5]
Unintuitive Folgerungen:
- Es kann 2 Mengen geben, von denen sich keine in die andere einbetten lässt (d. h. es gibt keine umkehrbar eindeutige Funktion von einer dieser Mengen auf eine Teilmenge der anderen; in der Fachsprache: keine injektive Funktion).[6]
- Manche („amorphe“) Mengen lassen sich nicht ordnen.
- Geordnete Mengen können unendlich sein und dennoch weder eine aufsteigende noch eine absteigende Folge enthalten.[7]
- ℝ kann die abzählbare Vereinigung von abzählbaren Mengen sein. (Reelle Analysis und Maßtheorie, so wie wir sie kennen, gibt es dann nicht mehr.)
- Die abzählbare Vereinigung bestimmter 2-elementiger Mengen kann überabzählbar sein.[8]
- Es kann einen nicht leeren Baum ohne Blätter geben (also einen Graph, wo man von jedem Knoten zu einem anderen, bisher nicht besuchten weitergehen kann), der keinen unendlichen Pfad besitzt.
- Auch wenn jeder endliche Teilgraph eines Graphs G mit 2 Farben so eingefärbt werden kann, dass keine 2 Knoten derselben Farbe durch eine Kante verbunden sind, braucht der gesamte, unendliche Graph G womöglich unendlich viele verschiedene Farben.[9]
Paradoxien:
- ℝ kann in mehr elementfremde (disjunkte), nicht leere Teilmengen zerlegt werden, als ℝ Elemente hat (Aufteilungsparadoxon)![10]
- Analog kann die Bildmenge einer Funktion echt größer als die Definitionsmenge der Funktion sein. (Man kann zeigen, dass man dieses Paradoxon nicht ausmerzen kann, ohne unmessbare Mengen einzuführen.)
Fazit
Die ZF-
Ohne Auswahlaxiom ist die mathematische Welt so verrückt und unangenehm, dass Mathematiker vor langem beschlossen haben, es für immer als wahr anzunehmen. Es wurde versucht, ein besseres Axiom zu finden – eines, das uns alle oder die meisten netten Dinge wie das Auswahlaxiom gibt, aber ohne verrückte Dinge – aber keines erwies sich als brauchbarer Ersatz für das Auswahlaxiom.[13]
Weiter
Literatur
- Horst Herrlich: Axiom of Choice (PDF). Berlin: Springer, 2006, Abschnitt 4: „Disasters without Choice“ (S. 43–
116)
Quellen
[1] | Horst Herrlich: Axiom of Choice (PDF). Berlin: Springer 2006, S. 73 (im PDF S. 85) – „Complete subspaces of ℝ may fail to be closed in ℝ.“ | ||||||||||||||||||
[2] | Horst Herrlich: Axiom of Choice (PDF). Berlin: Springer 2006, Abschnitt 3.3: Concepts Split Up: Compactness | ||||||||||||||||||
[3] | Horst Herrlich: Axiom of Choice (PDF). Berlin: Springer 2006, S. 66 (im PDF S. 78) – „Vector spaces may have two bases with different cardinalities“ | ||||||||||||||||||
[4] | Horst Herrlich: Axiom of Choice (PDF). Berlin: Springer 2006, S. 67 (im PDF S. 79) – „1. In a vector space no non-[5]
| Kommentar auf Reddit (aus Joel David Hamkins: Lectures on the Philosophy of Mathematics, MIT Press, 2021) – "ℚ can have different nonisomorphic algebraic closures. Indeed, ℚ can have an uncountable algebraic closure as well as a countable one."
| [6]
| Kommentar auf Reddit – „Without choice there are sets X and Y such that neither injects into the other. I consider this very unintuitive, and far worse than any consequence of choice.“
| [7]
| Horst Herrlich: Axiom of Choice (PDF). Berlin: Springer 2006, S. 56 (im PDF S. 68) – „Linearly ordered sets may have unfamiliar properties: ... X is infinite but contains neither a decreasing nor an increasing sequence.“
| [8]
| Horst Herrlich: Axiom of Choice (PDF). Berlin: Springer 2006, S. 23 (im PDF S. 35) – „there exist models of ZF in which ℝ is a countable union of countable sets, and models of ZF in which a countable union of certain 2-element sets is uncountable“
| [9]
| Horst Herrlich: Axiom of Choice (PDF). Berlin: Springer 2006, S. 110 (im PDF S. 122) – „It may happen that every finite subgraph of some graph G is 2-colorable, but G fails to be n- | [10]
| Alan D. Taylor und Stan Wagon: A Paradox Arising from the Elimination of a Paradox (PDF), S. 1 – „The Division Paradox asserts that the reals can be divided into nonempty classes so that there are more classes than there are reals.“
| [11]
| Alan D. Taylor und Stan Wagon: A Paradox Arising from the Elimination of a Paradox (PDF), S. 1 – „In short, ZFC appears to be strong enough to prove everything that is ,obvious‘“.
| [12]
| Brilliant.org, Artikel „Axiom Of Choice“, Abschnitt „Independence and Controversy“ – „the consensus of the mathematical community is that the ZFC universe seems more natural than the ZF¬C universe.“
| [13]
| Ivan Khatchatourian: 11. The Axiom of Choice (PDF), S. 4 – „the mathematical world without it is so weird and unpleasant, that mathematicians decided long ago to assume it is true all the time. Attempts have been made to design a better axiom–one which gives us all or most of the nice things that AC does but without all the weird things–but none have proved worthy of replacing AC.“
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