Mario Sedlak
Ökobilanz
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Umstrittene Ergebnisse von Ökobilanzen

Eigentlich müsste ich schreiben: besonders umstrittene Ergebnisse von Ökobilanzen, denn Ökobilanzen sind immer nur näherungsweise und mit gewissen Annahmen berechenbar. Siehe Probleme von Ökobilanzen

Einweg contra Mehrweg

Besonders große Debatten gibt es über Getränkeverpackungen. Die Studienergebnisse zeigen große Abweichungen:

  • Das Heidelberger Institut für Energie- und Umweltforschung (IFEU) sieht in Österreich "praktisch keine Unterschiede" zwischen Einweg-Plastikflaschen und Glas-Mehrwegflaschen. Das liege vor allem an der gut funktionierenden Sammlung und Wiederverwertung von alten Plastikflaschen. Neue Plastikflaschen bestehen aus 35–40% Altmaterial.
Greenpeace und die Umweltberatung kritisieren die Studie, die von der Getränkeindustrie bezahlt wurde.
Ökobilanzen, die 2008 von der Genossenschaft Deutscher Brunnen und 2002 vom deutschen Umweltbundesamt in Auftrag gegeben wurden, weisen Mehrwegflaschen als klare Gewinner aus.
  • "Getränkedosen sind umweltfreundlich", behaupteten deren Hersteller mit Verweis auf eine IFEU-Studie, die ergeben habe, dass Aluminiumdosen am wenigsten Kohlendioxid-Ausstoß verursachen.
Aludosen werden schöngerechnet, indem der große Energieaufwand bei der Gewinnung von Aluminium komplett ignoriert wird, weil die Dosen wiederverwertet werden können. Dabei wird für die Dosen ausschließlich Neumaterial verwendet!
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Ein großer Teil des Restmülls sind Windeln.

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Christbaum-Kultur

Weitere umstrittene Beispiele:

  • Das IFEU hat Ökobilanzen von Wegwerfwindeln und Stoffwindeln verglichen. Es ist zu dem Schluss gekommen, dass die wiederverwendbaren Windeln nicht umweltfreundlicher sind. Auch in Untersuchungen von anderen Wissenschaftlern erwiesen sich beide Varianten als ökologisch gleichwertig.[1]
Stoffwindeln muss man weder bei 90°C waschen noch im Trockner trocknen. Greenpeace empfiehlt waschbare Windeln. Eine Studie der TU Graz hat gezeigt, dass Mehrwegwindeln durchschnittlich nur halb so umweltbelastend wie Wegwerfwindeln sind.
  • Laut einer kanadischen Studie verursacht man mit dem Kauf eines Weihnachtsbaums 3,1 kg Kohlendioxid-Ausstoß. Ein künstlicher Weihnachtsbaum schlage sich dagegen mit 48,3 kg Kohlendioxid zu Buche. Dementsprechend müsste letzterer 16 Jahre lang verwendet werden, bis er das Klima entlastet. Durchschnittlich wird eine Weihnachtsbaumattrappe aber (in Nordamerika) nur 6 Jahre lang verwendet.[2]
Laut anderen Studien "rechnet" sich ein Plastikbaum bereits nach 7 oder 10 Jahren. Man kann auch gebrauchte Bäume kaufen.

Wenn es umweltfreundlicher wäre, Sachen nach einmaligem Gebrauch wegzuwerfen, dann müsste Einweggeschirr besser als Geschirrabwaschen sein. Das glaubt meines Wissens aber niemand. Ich bin generell skeptisch, wenn Wegwerfsachen eine bessere Ökobilanz haben sollen.

Die erstaunlich gute Bilanz von Wegwerfweihnachtsbäumen scheint mir auf einer Unterschätzung der Knappheit von landwirtschaftlich nutzbarer Fläche zu beruhen. Die Konsequenz daraus wäre, dass Kinder mit Essen anstatt mit Plastik spielen sollten. Das wäre aber eine ebenfalls umstrittene Ökobilanz.

Landwirtschaft

Ich halte Ökobilanzen, die nachwachsende Rohstoffe mit konventionell hergestellten Produkten vergleichen, für ziemlich hypothetisch. In der Praxis wird sowohl das verfügbare Land als auch das verfügbare Erdöl mehr oder weniger vollständig genutzt. Eine stärkere Biomasse-Nutzung verursacht Folgeeffekte an anderer Stelle, die etwaige Vorteile wieder ausgleichen.
  • Eine Studie der TU Graz im Auftrag der österreichischen Biobauern-Lobby "Bio Austria" kam zu dem Ergebnis, dass die biologische Landwirtschaft bei Rindfleisch, Eiern, Milch, Kartoffeln, Mais und Äpfeln "einen geringeren Druck auf die Umwelt ausübt als die konventionelle Bewirtschaftung."[3]
Foodwatch verweist auf Ökobilanzen, wonach Bio-Milch und Bio-Rindfleisch eine schlechtere Klimabilanz als bei konventioneller Herstellung aufweisen. Das liegt daran, dass die Bio-Tiere nicht so schnell zunehmen und dass die Haltung mit Einstreu mehr Emissionen verursacht als die Haltung auf Vollspaltenböden.[4] Gerade die Emissionen des Tiermists wurden in der Studie der TU Graz vollkommen vernachlässigt.[5]
  • Solange sich die Milchproduktionsbedingungen nicht ändern, bewirkt in Deutschland niemand eine Klimagasreduktion, wenn er auf Rindfleisch verzichtet, aber weiterhin Milch trinkt, wird behauptet. Rindfleisch sei nämlich überwiegend nur ein "Nebenprodukt der Milchproduktion".
Ich bin skeptisch, denn eine sinkende Nachfrage bewirkt sinkende Preise, und wenn sich die Mast nicht mehr lohnt, werden die bei der Milchproduktion anfallenden Kälber gleich nach der Geburt getötet.
  • Tierschützer behaupten, für die Produktion von 1 kg Fleisch benötigt man etwa 16 kg Getreide.[6]
In der industriellen Schweinezucht reichen 3 kg Futter für 1 kg Schlachtgewicht, ca. 80% davon[7] ist Fleisch. Ansonsten wäre Schweinefleisch wohl auch nicht so billig.

Energie und Verkehr

Wie viel Kohlendioxid-Ausstoß erspart die Nutzung von Biomasse anstatt von fossiler Energie wirklich? Je nach Sicht unterschiedlich viel:

Ohne Folgeeffekte Mit Folgeeffekten
  • 2012 wurden durch biogene Kraftstoffe etwa 5,4 Mt Treibhausgase in Deutschland und ca. 1,7 Mt in Österreich[8] vermieden.
Wenn bestehende Äcker, die bisher für die menschliche Ernährung genutzt wurden, Felder für Energiepflanzen werden, dann wird möglicherweise andernorts Urwald gerodet, um dort die fehlende Nahrung bzw. das fehlende Futter fürs Vieh gewinnen zu können. In diesem Fall wird die Klimabilanz von Biosprit tiefrot. Die Berechnung solcher indirekten Landnutzungsänderungen ist jedoch schwierig und methodisch komplex, sodass sie oft ganz unterbleibt.
  • Eine Holzheizung spart viele Tonnen Kohlendioxid gegenüber einer Öl- oder Gasheizung.
Holz kann nur einen Bruchteil unseres Energiebedarfs decken. Wer es nutzt, bewirkt keine CO2-Einsparung, sondern nur eine Verlagerung zu einem anderen Verbraucher ("grünes Paradoxon").

Besonders umstritten ist die Ökobilanz von Strom:

Durchschnittsbetrachtung Zuwachsbetrachtung
  • Die deutsche Bahn verursacht im Fernverkehr einen CO2-Ausstoß von 75 g pro Personenkilometer.
Da die deutsche Bahn zusätzlichen Strom aus konventionellen Wärmekraftwerken bezieht, sind es in der Grenzbetrachtung 110 g pro Personenkilometer.
  • Für die österreichische Bahn werden 14,97 g CO2 pro Personenkilometer angegegeben.
Da es einen eng verbundenen Strommarkt von Österreich und Deutschland gibt, mit dem auch das Bahnstromnetz verbunden ist, erscheint es mir absurd, für Österreich einen eigenen, besseren Wert pro Kilowattstunde anzunehmen.
Die Wasserkraftwerke werden jedoch nicht mehr, weil mit dem Elektroauto gefahren wird. Siehe Woher kommt der Strom für Elektroautos?
  • Der Stromverbrauch einer Suchanfrage bei Google wird auf 11 Wh geschätzt. Google selbst beziffert den Wert auf 0,3 Wh inklusive Erstellung des Suchindex und weiterer Vorarbeiten.
Selbst der kleinere Wert überschätzt den Mehrverbrauch, der durch eine Suche entsteht, da die fixen Verbräuche inkludiert sind.

Ewiges Streitthema sind außerdem die Ökobilanzen von Heizungen, insbesondere Wärmepumpen.

Sonstiges

Weiter

Ökobilanz von Strom

Quellen

[1] Medizin populär, 5/2004, S. 9
[2] Ellipsos: Comparative Life Cycle Assessment (LCA) of Artificial vs Natural Christmas Tree, S. 4
[3] TU Graz: Ökologischer Fußabdruck der Biolandwirtschaft und ihrer Produkte. Vergleich zwischen biologischer und konventioneller Wirtschaftsweise (PDF, 1 MB), 2011, S. 3
[4] Institut für ökologische Wirtschaftsforschung: Klimawirkungen der Landwirtschaft in Deutschland (PDF), 2008, S. 137 und 117 (im PDF S. 151 und 131)
[5] TU Graz: Ökologischer Fußabdruck der Biolandwirtschaft und ihrer Produkte. Vergleich zwischen biologischer und konventioneller Wirtschaftsweise (PDF, 1 MB), 2011, S. 6 – "Wirtschaftsdünger wird als Abfallprodukt kein Fußabdruck zugewiesen"
[6] Tierfreund. Magazin des Wiener Tierschutzvereins, 2/2011 (PDF, 3 MB), S. 12 (im PDF S. 7)
[7]
[8] Umweltbundesamt: Klimaschutzbericht 2014 (PDF, 2 MB), S. 8 (im PDF S. 10)
[9] Bild der Wissenschaft, 11/2000, S. 108

Seite erstellt am 11.1.2015 – letzte Änderung am 22.12.2018