Mario Sedlak
Elektroauto
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Hörbarkeit von Elektroautos

Weniger Verkehrslärm in ein Segen für viele Menschen, die in der Nähe von Straßen wohnen, aber möglicherweise eine Gefahr für Fußgänger und Radfahrer, die leise Fahrzeuge nicht wahrnehmen. Bei Elektroautos (und Hybridautos im reinen Elektrobetrieb) ist der Geschwindigkeitsbereich von etwa 10–30 km/h kritisch:[1]

Kaum Belege

Unfälle von Elektroautos mit Fußgängern werden weder in Deutschland noch in Österreich[2] gezählt. Es gibt viele Berichte über Beinahe-Unfälle, wo jemand ein Elektroauto überhört hat (meist auf Parkplätzen oder bei Ausfahrten), aber kaum einen Fall, wo tatsächlich eine Person verletzt wurde.[3] Selbst Blindenverbände, die eindringlich vor lärmarmen Fahrzeugen warnen, kennen keinen solchen Fall. Der einzige Medienbericht, den ich gefunden habe, war über ein 8-jähriges Kind, das einen Renault Twizy nicht gehört hat und auf die Fahrbahn lief.

Argumente

Trotz – oder gerade wegen – der fehlenden Belege wird über das mögliche Problem der schlechten Hörbarkeit von Elektroautos heftig diskutiert.

Für eine Gefahr spricht Gegen eine Gefahr spricht
  • Studien des US-Verkehrsministeriums ergaben, dass Fußgänger und Radfahrer um 22–100% häufiger mit einem Hybridauto als mit einem konventionellen Auto zusammenstoßen, wenn das Hybridauto gerade wendet oder ein anderes Manöver bei geringer Geschwindigkeit (wo der Verbrennungsmotor häufig abgeschaltet ist) ausführt. Bei konstanter, gerader Fahrt ist das Unfallrisiko gleich.[4] Auch bei den tödlichen Unfällen sind Hybridautos nicht überrepräsentiert,[5] was darauf hindeutet, dass die beobachteten Unterschiede bei langsamer Fahrt nur auf die schlechtere Hörbarkeit zurückgehen.
Moderne Autos schalten den Verbrennungsmotor ab, wenn sie ausrollen ("Segelbetrieb", Schubabschaltung). Dann sind sie so leise wie Hybrid- und Elektroautos.[6] In diesem Zustand müssten sie von dem Hörbarkeitsproblem gleichermaßen betroffen sein.
  • Ein sich nähernder Mitsubishi I-MiEV (1110 kg) wird viel später als ein BMW X3 (1730–1950 kg) gehört – im Durchschnitt erst, wenn er ca. 20 m näher ist.
  • Bei einem Hintergrundlärm wie auf einer innerstädtischen Seitenstraße hörten 2/3 der Versuchspersonen das Elektroauto gar nicht oder erst, nachdem es vorbeigefahren war.
  • Rund 30% der Fußgänger, die eine Straße queren, schauen nicht, sondern verlassen sich auf ihr Gehör.[7]
Ein leises Fahrzeug überrascht im Langsamfahrbereich Fußgänger nicht mehr als z. B. ein Radfahrer. Es konnten keine gravierenden Unterschiede im Verhalten und keine gefährlichen Situationen beobachtet werden.[8] Kurierdienste, die in Feldversuchen Elektroautos lenkten, gewöhnten sich schnell daran, dass Fußgänger sie beim Anfahren nicht hören, und fuhren entsprechend vorsichtig.

Meine Einschätzung

Es ist plausibel, dass unüblich leise Fahrzeuge häufiger überhört werden. Mit steigender Verbreitung der "Flüster"-Autos werden sich deren Unfallzahlen dem Niveau der Autos mit Verbrennungsmotor annähern, weil Fußgänger und Radfahrer gelernt haben, dass Hören allein zu wenig ist.

Blinde Menschen müssen mit unhörbaren Fahrzeugen rechnen. Das ist aber nichts Neues, denn auch Radfahrer sind i. A. unhörbar, und Zusammenstöße von Radfahrern mit Blinden gibt es. Monika Weinrichter, die selbst blind ist und eine Bürgerinitiative zur Einführung verpflichtender Mindestgeräusche von Fahrzeugen leitet, berichtete mir 2015 einen Fall, wo ein Blinder von einer viel zu schnellen Radfahrerin niedergeführt wurde und schwerste Brüche im Gesicht erlitt. Einen ähnlichen Unfall mit einem elektrisch betriebenen Auto kennt sie nicht (nur Beinahe-Unfälle).

Lösung

Ich kann verstehen, dass sehbehinderte Menschen sich nicht auf die Lenker von Fahrzeugen verlassen wollen. Es wäre jedoch unlogisch, wenn Elektroautos Krach machen müssen und Radfahrer nicht.

Das Problem besteht vor allem beim Überqueren einer Straße, wenn es keine Ampel gibt. Eine Lösung könnte ein "intelligenter" Blindenstock sein, der mitteilen kann, ob sich ein Fahrzeug nähert. Für Blinde sind derartige Zusatzgeräte jedoch "überhaupt nicht akzeptabel". Sie kritisieren, dass "Technik immer ausfallen kann" und vergessen dabei, dass auch die Zwangsbeschallung eine nicht verlässliche Technik ist.

Autofahrer sollen bei Bedarf einen Warnton einschalten, um Fußgänger aufmerksam zu machen. Viele Elektroautos haben den bereits (zusätzlich zur Hupe). Blinde müssen sich darauf verlassen können, dass Autos stehen bleiben oder sich bemerkbar machen.

Ab Juli 2019 müssen neu genehmigte Elektroautos bis zu einer Geschwindigkeit von 20 km/h verpflichtend ein Geräusch von sich geben, und zwar ein unterschiedliches für Beschleunigen und Bremsen.[9]

Weiter

Folgeeffekte von Elektroautos

Weblinks

Quellen

[1] Akustische Wahrnehmbarkeit bei Elektromobilen (PDF), S. 31
[2] DrivEkustik. Fahrverhalten in und akustische Wahrnehmung von Elektrofahrzeugen (PDF, 19 MB), S. 45 (im PDF S. 46)
[3] Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt, Energie: Überlegungen zu Lärm und Schadstoffen im Zusammenhang mit dem Betrieb von Elektrofahrzeugen (PDF, 2 MB), S. 5
[4] U. S. Department of Transportation, National Highway Traffic Safety Administration:
[5]
[6] Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt, Energie: Überlegungen zu Lärm und Schadstoffen im Zusammenhang mit dem Betrieb von Elektrofahrzeugen (PDF, 2 MB), S. 12
[7] DrivEkustik. Fahrverhalten in und akustische Wahrnehmung von Elektrofahrzeugen (PDF, 19 MB), im PDF S. 67f., 22, 10 und 45
[8]
[9] Auto-Touring. Das Mobilitätsmagazin des ÖAMTC, 1.2019, S. 7

Seite erstellt am 3.5.2015 – letzte Änderung am 23.2.2019