Interview über Quantenphilosophie | Seite 5 von 7 | ![]() ![]() |
Peter Geißler:
Verstehe ich Sie richtig: Sie pflegen ein Wissenschaftsverständnis, das allein den Naturwissenschaften Wissenschaftlichkeit zubilligt und das der Philosophie lediglich den Platz eines „Ideengebers“ zubilligt? Kann man nicht genau umgekehrt genauso mit Recht annehmen, dass lediglich die Philosophie Ergebnisse und Erkenntnisse naturwissenschaftlicher Forschung in einen größeren Zusammenhang, eben ein „Ganzes“, stellen kann und die manches Mal auch abenteuerlichen Interpretationen und Schlussfolgerungen einer Erkenntniskritik unterziehen kann, die nicht bloß einer mechanistischen Betrachtung der Welt folgt?Die Quantenphysik stellt ja meiner Kenntnis nach unser klassisches materialistisch-
mechanistisches Weltbild grundlegend infrage und scheint mir einen Paradigmenwechsel zu erfordern, der vielleicht irgendwann auch für alle wahrnehmbare Auswirkungen auf unsere Alltagswelt haben wird – vielleicht im nahenden Zeitalter der Quantencomputer? Ob wir dann wie Bohr Angst haben oder nicht, würden wir spätestens dann sehen. So wie ich glaube, dass Sie die Psychologie verstehen, scheinen Sie sich auf die Experimentalpsychologie zu beziehen, die Sie zu den Wissenschaften rechnen, nicht jedoch z. B. die Hermeneutik und die Phänomenologie – richtig? Ich denke ja doch, dass der Bedeutung der geistigen Welt für unsere Entwicklung und grundsätzlich das Sein des Menschen ein Stellenwert zukommt, den man gar nicht übergehen kann! Schließlich sind ja auch mathematische Formeln (einschließlich ihrer Begrenzungen, weil eben das Menschlich-
Geistige irgendwann auch an bestimmte Grenzen stoßen muss), doch letztlich Produkte geistiger Aktivität! Aber vielleicht missverstehe ich Sie auch und Sie ziehen die Grenze doch nicht so radikal, wie es mir im Moment erscheinen will ...
Mario Sedlak:
Die Philosophie ist keine empirische Wissenschaft. Wer nur nachdenkt, kann nur jene Aussagen über die Welt entdecken, die in allen denkbaren Welten zutreffen. Für alle anderen Aussagen muss man nicht nur nachdenken, sondern nachschauen. Wenn man also etwas über die beobachtbare Welt wissen will, fragt man am besten einen Empiriker. Wenn Sie Zahnschmerzen haben, gehen Sie wahrscheinlich auch am ehesten zu einem Zahnarzt. Psychologen und andere Mediziner sind deswegen keine schlechteren Mediziner, weil sie nicht für alle Zwecke der erste Ansprechpartner sind. Natürlich können alle zusammen ein „ganzheitlicheres“ Bild liefern. Es wird aber selten ein Psychologe durch seine Methoden ein neues Bohrverfahren für Zahnärzte finden oder die Qualität einer zahnärztlichen Behandlung „einer Kritik unterziehen“ können.
Die Quantenphysik ist unstrittig ein großer Unterschied zur vorherigen „klassischen“ Physik. Aber mir scheint, dass der Paradigmenwechsel für Physiker kein so großes Problem wie für Philosophen ist. Während für den Physiker in den meisten Fällen – im Makrokosmos – der Unterschied zwischen klassischer und Quantenphysik vernachlässigbar ist, dürften Metaphysiker einen grundlegenden Unterschied sehen, der eine komplett neue Vorstellung von der ganzen Welt erfordert. Die klassische Physik war aus philosophischer Sicht wohl ein kompletter Irrtum. Aber nur wenn man fälschlicherweise glaubt, die Modellvorstellungen der Naturwissenschaft sind dasselbe wie die Wirklichkeit selbst, dann überschätzt man derart die Auswirkungen von „Modellwechseln“. Tatsächlich ist es für Empiriker relativ egal, ob das Modell materialistisch, mechanistisch, geistig oder was auch immer ist. Das sind reine Interpretationen, die wissenschaftstheoretisch nichts über die Güte des Modells und schon gar nicht etwas über das „eigentliche Wesen“ der Welt aussagen. Wir müssen uns weder vorm Laplace’schen Dämon, der nur in Newtons Modell existieren konnte, noch vor der Quantentheorie fürchten. Zumindest fürchtet sich ein Empiriker nicht vor irgendetwas Unbeobachtbarem.
Die Psychologie ist meinem Verständnis nach eine empirische Wissenschaft. Nur wenn ein Psychologe eine Hypothese aufstellt, die nicht durch Beobachtungen oder Experimente widerlegbar ist, würde er den weiten Rahmen der Empirie verlassen. Von Hermeneutik und Phänomenologie weiß ich nicht genug, aber ich denke, Sie können die Einschätzung selbst vornehmen. Das Kriterium der empirischen Widerlegbarkeit ist essenziell für alle empirischen Wissenschaften. Allgemeine Gesetzmäßigkeiten sind ja nicht in einem strengen Sinne beweisbar, daher müssen sie zumindest widerlegbar sein.
Mathematik ist keine empirische Wissenschaft. Das ist ok. Es muss nicht alles in den gleichen Topf gehören.
Ich weiß nicht, was an meiner Sichtweise radikal ist. Ein Empiriker übernimmt jedes Verfahren, das erfahrungsgemäß zu brauchbaren Ergebnissen führt. An eine Methode zu glauben, die nicht überprüfbar ist, wäre doch ein Vorurteil, oder?
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