Mario Sedlak
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Über meine Artikel

Peter Geißler:

Relativ sicher bin ich mir nun, dass viele meiner Kolleginnen und Kollegen sich genau vor so einer Vorstellung fürchten: dass man irgendwann einen Menschen weitgehend im Computer simulieren kann. Wir sind fühlende, empfindungsfähige Wesen, und diese Fähigkeit – in letzter Konsequenz wohl das Leben an sich – hat sich über sehr lange evolutionäre Zeiträume entwickelt. Wir wollen nicht glauben, dass so etwas wie eine Simulation des Lebens eines Tages möglich sein wird, weil wir es unter anderem wie eine Entfremdung von uns selbst empfinden, bei der das Menschliche verloren geht – aber wer weiß schon, was möglich sein wird?

Wenn ich Sie recht verstanden habe, dann sind aus Ihrer Sicht philosophische Interpretationen aus der Quantenmechanik äußerst fragwürdig – doch sind sie, ich gebe es gern zu, für mich besonders interessant. Hier scheiden sich möglicherweise die Geister: Die einen scheinen zu meinen, man kann das sehr wohl tun, während andere meinen, das sei nicht „gegenstandsangemessen“. Da sich in beiden „Lagern“ sehr gescheite Menschen befinden, schließe ich daraus, man kann es offensichtlich so und so sehen – so wie wenn es „Geschmackssache“ wäre, es zu tun oder es zu lassen. Ich nehme daher nochmals einen Anlauf.

Quantenphilosophen argumentieren ja unter anderem damit: Man kommt um den Umstand, dass wir Menschen Bewusstsein haben und erst kraft dieses Bewusstseins uns über alles Mögliche, wie auch die Quantenmechanik, unterhalten können, nicht herum. Sie argumentieren, dass man den Umstand, dass wir Bewusstsein haben, gleichsam als „a priori“ betrachten muss und dass es überhaupt erst auf der Basis dieses „a priori“ Sinn macht, sich bestimmte Fragen zu stellen. Sie argumentieren, ohne unser Bewusstsein – und dessen Grundlage ist zunächst einfach eine wie immer sich organisierende Wahrnehmung – hätte die Frage nach einer Realität, wie beispielsweise die Physik sie untersucht, überhaupt keinen Sinn. Sie argumentieren weiters, dass wir kraft unseres Bewusstseins eindeutig Materie steuern, und zwar ganz eindeutig die körpereigene Materie und vielleicht sogar äußere. Sie vermuten, dass der Urgrund alles Seins – denn Quantenphilosophen stellen sich entschieden gegen eine materialistische Sichtweise unserer Welt – etwas ist (wohl „Quanteninformation“), das dem Geistigen näher zu sein scheint als dem Materiellen.

Nochmal von anderer Seite her gedacht: Naturwissenschaften erforschen das, was die Natur hervorgebracht hat. Die Natur hat auch uns Menschen hervorgebracht. Wir Menschen sind Wesen mit Geist, mit Bewusstsein. Wenn wir Naturwissenschaften ehrlich und sauber betreiben – so würde wohl argumentiert werden – dann gehört alles Geistige, d. h. auch das Bewusstsein dazu. Es muss geradezu Gegenstand der Forschung sein, und sollte nicht der naturwissenschaftlichen Forschung vorausgesetzt werden. Es ist aber wohl lange Zeit aus Gründen der Messbarkeit ignoriert worden – wodurch wir nun an einer Grenze angelangen, die man hier ziehen kann, aber nicht muss. Denn eine Natur ist nicht durch und durch messbar! Ist sie deswegen nicht erforschbar?

Sie werden jetzt vielleicht sagen, solche Gedanken/Schlüsse gehen weit über das hinaus, was man beobachten und/oder messen kann, und daher stelle ich mir solche Fragen gar nicht. Andererseits: Auch Sie haben vermutlich eine persönliche „Philosophie“, oder etwa nicht? Ich glaube, sogar Bell, über dessen Ungleichung wir uns zuerst unterhalten haben, war der Ansicht, dass man von gemessenen auf ungemessene Teilchen schließen darf, dass also das Induktionsprinzip sehr wohl ein Zugang ist, ohne den Naturwissenschaft gar nicht möglich wäre. So glaube ich ihn jedenfalls verstanden zu haben, doch könnte man möglicherweise einwenden, mit einer solchen Argumentation verlässt man das (scheinbar?) „sichere Territorium“ der Physik und begibt sich in den Dschungel der Metaphysik ... .

Mario Sedlak:

Als Naturwissenschaftler darf man sich vor der Wahrheit nie fürchten. Wenn Kopernikus Angst vor dem heliozentrischen Weltbild gehabt hätte, dann hätte er es nicht entdeckt. Und auch jeglicher Protest der Menschheit hat nichts daran geändert, dass die Erde die Sonne umkreist.

Philosophie und Naturwissenschaft (oder genauer: Metaphysik und Physik) unterscheiden sich wesentlich in ihrer Herangehensweise. Die Philosophie ist keine empirische Wissenschaft. Philosophische Wahrheiten werden nicht durch Experimente oder Beobachtungen bestätigt oder widerlegt. Der „Vorteil“ der Philosophie ist, dass sie Fragen beantworten kann, die rein empirisch nicht beantwortet werden können. Der Nachteil ist dabei jedoch, dass die Antworten nicht mehr eindeutig sind, weil ja keine „Schlüsselexperimente“ möglich sind. Also ich sage nicht, dass philosophische Interpretationen von Naturgesetzen vollkommen unzulässig sind, aber ich und auch die meisten Naturwissenschaftler sehen keinen Nutzen darin. Metaphysik hat mehr mit Glaubensansichten als mit Wissenschaft zu tun.

Der Begriff des Bewusstseins kommt in der Quantenmechanik nicht vor. Es ist gar nicht wichtig, ob ein Versuchsleiter hinschaut. Schon wenn es auch nur theoretisch möglich ist, den Weg eines Teilchens zu verfolgen, verhält sich dieses Teilchen nicht wie eine Welle, sondern wie eine kleine Billardkugel. Es muss kein „Wesen mit Bewusstsein“ hinschauen, damit die Welle „zusammenbricht“.

Selbstverständlich kann die Naturwissenschaft auch geistige Phänomene erforschen. Die Psychologie tut dies. Ich sehe hier kein „Messbarkeitsproblem“. Es ist in der Wissenschaft überhaupt nicht notwendig, dass alle Größen exakt quantifizierbar sind. Alles, was irgendwie beobachtbar ist, kann grundsätzlich Gegenstand einer empirischen Wissenschaft sein.

Ich sehe auch keine Voraussetzungen oder Annahmen in der Naturwissenschaft, zu deren Überprüfung und Hinterfragung viele Philosophen besonders gern auffordern. Aus meiner Sicht sind die „Annahmen“ Erfahrungssätze, d. h. sie haben sich bewährt und werden deshalb weiter verwendet. Die einzige Annahme, die nicht begründbar ist, lautet: Aus Erfahrung kann man lernen. Alles andere kann im Prinzip durch neue Erfahrungen widerlegt werden. Wenn sich eine „Annahme“ bisher bewährt hat, kann trotzdem jederzeit eine bessere Modellvorstellung gefunden werden, die noch besser funktioniert. Und es ist klar, dass das Induktionsprinzip nur Vermutungen liefert. Ein allgemein gültiges Gesetz lässt sich in empirischen Wissenschaften nicht wie in der Mathematik beweisen. Erst allmählich, wenn die Vermutung immer wieder auf die Probe gestellt wird und dennoch nicht widerlegt werden konnte, steigt das Vertrauen. Irgendwann war es z. B. keine „Arbeitshypothese“ mehr, dass es Atome gibt, sondern eine „Tatsache“.

Empirische Wissenschaft hat das Ziel, Modelle zu finden, die möglichst zuverlässige Voraussagen über zukünftige Beobachtungen oder Ausgänge von Experimenten ermöglichen. Es ist eigentlich gar nicht wesentlich, dass diese Modelle in irgendeinem Sinne „wahr“ sind; z. B. können für manche Zwecke ganze Planeten als punktförmig angenommen werden. Sogar wenn Theorien nachweislich widerlegt wurden, verwerfen die Naturwissenschaftler sie nicht unbedingt. Solange sie keine bessere Theorie haben, nutzen sie weiterhin die falsche. Viele Philosophen scheinen das falsch zu verstehen, doch für Empiriker sind schlechte Modelle immer noch besser als gar keine. Hier offenbart sich wieder die völlig verschiedene Herangehensweise von Philosophie und empirischer Wissenschaft.

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Physik und Metaphysik (Seite 4 von 7)