Mario Sedlak
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Über meine Artikel

Peter Geißler:

Ich erlaube mir folgenden Einwand: Der „Mesokosmos“, also die Welt, die wir kraft unserer Sinne zu erfassen in der Lage sind, erscheint uns als „die“ Realität, eben weil wir sie sehen, hören, tasten, riechen, schmecken, spüren können. Unsere Sinne sind jedoch anscheinend lediglich zu einer vergröberten Welterkennung fähig, was aus evolutionsbiologischer Sicht dennoch allem Anschein nach ausreichend war, sonst hätten wir wohl nicht überlebt. Wenn ich mir aber klar mache: Je genauer ich hinschaue, d. h. je größer die Vergrößerung wird, um eine Analogie mit dem Mikroskop zu bemühen, dann beginnt sich das, was wir Realität nennen, doch anders darzustellen, bis hin zu einer Quantenwelt, die dann nur wenig Ähnlichkeiten mit unserer Welt-Anschauung hätte. Ist es nicht das, was Bohr in seiner Aussage gemeint haben könnte?

Einstein hat unsere Welt-Anschauung doch kraft seiner allgemeinen Relativitätstheorie ohnehin schon ziemlich strapaziert (Raum und Zeit erweisen sich als relativ), und dann kamen noch diese Quantenmechaniker daher und haben quasi „noch eins draufgesetzt“. Einstein hat, soweit ich informiert bin, die Quantenmechanik nicht gemocht und ist lebenslang in einen Wissenschaftsstreit mit Bohr, Heisenberg, Pauli und anderen geraten, wobei infolge der Bell’schen Ungleichung meiner Information nach die Quantentheorie gleichsam den „Sieg“ davongetragen hat: Sogar der große Einstein hatte Unrecht. So ist zumindest der Stand meiner Information.

Quantenphilosophen wie beispielsweise Carl Friedrich von Weizsäcker, Ulrich Warne oder Thomas Görnitz ziehen daraus mehr oder weniger weitreichende Schlüsse, aus denen ich – zugegebenermaßen laienhaft – meine eigenen Folgerungen ableite, wie z. B.:

  • Nichts ist festgelegt und fix determiniert (die Quanteninformation ist es ja auch nicht), auch wenn es einen gewissen Rahmen wohl geben muss.
  • Das übliche Denken in kausalen Zusammenhängen ist eine grobe Vereinfachung, aber je genauer man hinschaut umso akausaler erscheinen Zusammenhänge.
  • Wir können – wiederum bei sehr genauem Hinschauen – gar nichts machen; vielmehr geschieht etwas, an dem wir teilhaben (unser freier Wille ist darin ein mitgestaltendes Element, das wir hinsichtlich seiner Bedeutsamkeit im Großen auch nicht überschätzen dürfen)

Solche Folgerungen wären dann doch relevant für uns Psychotherapeuten, denn dass nichts fix determiniert ist, macht genauso viel Sinn wie das Loslassen von kausalen Wirkungszusammenhängen und das Annehmen einer bescheidenen Grundhaltung, darauf hinauslaufend, dass wir unsere Wirksamkeit nicht überschätzen. Zumindest könnte die Quantenmechanik einen verführen, solche Schlüsse zu ziehen, selbst auf der Ebene des „Mesokosmos“.

Wenn ich mir auf YouTube die zahlreichen Videos anschaue, die es da mittlerweile gibt, dann entsteht in mir einerseits eine gewisse Vorsicht hinsichtlich der Schlüsse, die oftmals aus meiner Sicht etwas zu direkt gezogen werden. Andererseits scheint uns die Quantenmechanik auf eine im Feinstbereich andere mögliche „Realitätsordnung“ aufmerksam zu machen, die einen ja schon zumindest verunsichern kann und die wohl irgendwie wechselwirken muss mit „unserer Realität“. Können Sie das nachvollziehen?

Mario Sedlak:

Unsere Sinnesorgane sind sicher keine exakten Messgeräte, sondern für das Überleben in der Steinzeit gemacht. Philosophen haben aber sowieso schon längst erkannt, dass wir nie sicher sein können, die Welt so zu sehen, hören, tasten, riechen, schmecken und spüren wie sie „wirklich“ ist. Das ist nichts Neues. Auch dass die Wissenschaft immer nur Modellvorstellungen von der Wirklichkeit haben kann und nicht direkt „die Wahrheit“ entdeckt, war eigentlich immer schon so. Die Quantenmechanik hat das nur deutlich vor Augen geführt. Elektronen müssen keine wohldefinierten Bahnen wie Planeten haben, da man ihren Aufenthaltsort im Atom nur zu einem bestimmten Zeitpunkt, aber nicht laufend messen kann, denn jede Messung stört das Elektron, sodass es aus der Bahn geworfen wird, wenn es eine hätte. Einstein hat nie geglaubt, dass physikalische Größen unbestimmt sein können. „Gott würfelt nicht“, soll er gesagt haben. Aber er „würfelt“ doch, wie unter anderem die Bell’sche Ungleichung gezeigt hat. Solange irgendeine quantenmechanische Eigenschaft wie Ort, Geschwindigkeit, Polarisationsrichtung etc. nicht gemessen wurde, existiert sie nicht. Würde man annehmen, dass die Größen alle immer einen genauen Wert haben, den wir aber nur nicht kennen, kommt man zu der Schlussfolgerung, dass Signale sich mit unendlicher Geschwindigkeit über beliebig große Distanzen ausbreiten können. Zwei Teilchen, die gemeinsam entstanden und dadurch „verschränkt“ sind, ändern beide gleichzeitig ihren Zustand (z. B. die Polarisationsrichtung), wenn eines gemessen wird. Ansonsten wäre die Bell’sche Ungleichung erfüllt; experimentell ist sie jedoch widerlegt.

Der quantenmechanische Zustand, der sich bei zwei Teilchen gleichzeitig ändern kann, auch wenn sie noch so weit voneinander entfernt sind, ist keine physikalische Größe, sondern kommt nur in der Modellvorstellung vor. Deswegen wird dadurch die Relativitätstheorie nicht verletzt. Nach der Relativitätstheorie dürfen sich Signale nicht sofort, sondern höchstens mit Lichtgeschwindigkeit ausbreiten, aber messbar sind nicht die Zustände, sondern nur die physikalischen Größen. Ein Zustand sagt in der Quantenmechanik, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein bestimmter Wert gemessen wird.

Für Empiriker ist es unbefriedigend, dass man den Zufall aus der Theorie nicht wegbekommt und nur Wahrscheinlichkeiten angeben kann. Ein Problem ist es für Empiriker aber keines, da die Theorie alles sagt, was man messen kann. Problematisch sind aus meiner Sicht (eines Empirikers) die philosophischen Interpretationen der wissenschaftlichen Modelle. Schon bei Newton hat man fälschlicherweise gesagt: „Ah, alles ist exakt vorherbestimmt!“ In der empirischen Praxis ist das offensichtlich unüberprüfbar, da wir nie mit unendlicher Genauigkeit messen können. Und es stimmt auch nicht, wie eben die Quantenmechanik zeigt. Wissenschaftstheoretisch ist es unzulässig, aus den unbeobachtbaren Dingen, die in einem Modell vorkommen, Schlüsse zu ziehen. Manchmal gibt es mehrere Modelle, die empirisch gleichwertig sind, weil sie genau die gleichen Beobachtungen voraussagen. Welches „stimmt“ dann im philosophischen Sinne? z. B. ist Newtons Gravitationsgesetz gleichbedeutend damit, dass die Planetenbahnen so verlaufen, dass eine bestimmte Größe minimal wird (Prinzip der kleinsten Wirkung). Soll man daraus den philosophischen Schluss ziehen, jeder Planet ist ein Computer, der unter allen möglichen Bahnen die „richtige“ berechnet?

Im Alltag ist es eigentlich kaum wichtig, ob bei irgendeinem Vorgang (z. B. einem Erdbeben in Kalifornien oder einer Depression bei einem Patienten) die Ursache unbekannt oder unbestimmt ist. Ein Empiriker beschränkt sich auf das, was er weiß bzw. wissen kann. Dass man in manchen Fällen nur Wahrscheinlichkeiten wissen kann, empfinde ich nicht als akausal; z. B. in der Statistik sind Wahrscheinlichkeiten ganz normal. Es gibt auch statistische Physik. Diese beschreibt, wie aus mikroskopischen Größen makroskopische werden, z. B. aus der Bewegung der kleinsten Teilchen Temperatur. Da sehe ich überhaupt keine erkenntnistheoretischen Probleme.

Für Lebewesen gibt es keine eigenen Naturgesetze. Jedenfalls wurden über Jahrhunderte trotz anders lautender Vermutung vieler Forscher keine eigenen „Lebenskräfte“ oder dergleichen gefunden. Unser „freier Wille“ kann sich daher nur im Rahmen der Naturgesetze bewegen. Aus naturwissenschaftlicher Sicht ist das Gehirn ein sehr komplexes System, das aber dennoch durch dieselben Gleichungen wie einfache, unbelebte Materie beschrieben werden kann – theoretisch zumindest. Das heißt natürlich nicht, dass wir alle den ganzen Tag im Bett bleiben können, weil sowieso „alles vorherbestimmt“ ist und wir „nichts ändern“ können. Das ist ein Denkfehler, denn unsere Taten und Gedanken sind ja genauso – theoretisch – berechenbar und „vorherbestimmt“. Sie stehen nicht über den Naturgesetzen. Ich vermute, dass man irgendwann einen ganzen Menschen im Computer simulieren kann. Wenn der Mensch tatsächlich nur den Naturgesetzen unterliegt und die Rechenleistung der verfügbaren Computer weiterhin exponentiell wächst, sollte das eines Tages möglich sein. Aber warum sollte uns hier und heute das beunruhigen oder sonst irgendwie verleiten, das Leben anders zu gestalten?

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wissenschaftliche Herangehens­weise (Seite 3 von 7)