Verschränkte Quantenzustände
In der Quantentheorie hat jedes Teilchen einen Zustand, der bestimmt, welche Messungen an diesem Teilchen mit welcher Wahrscheinlichkeit welches Ergebnis zeigen. Es kann aber sein, dass Messungen an zwei verschiedenen Teilchen nicht unabhängig voneinander sind. Man sagt dann, diese Teilchen sind in einem gemeinsamen verschränkten Zustand.
Beispiel
Zwei Lichtteilchen (Photonen) können bei einem Vorgang gemeinsam entstehen, so dass sie in derselben Richtung polarisiert sein müssen. Man weiß nicht, in welcher Richtung sie polarisiert sind, aber wenn eines durch einen Polarisator geht, dann geht das andere mit Sicherheit ebenfalls durch.
Konsequenzen
Durch Messung an einem verschränkten Teilchen, kann man etwas über ein anderes Teilchen aussagen, ohne dieses durch eine Messung zu stören. Die zwei Lichtteilchen waren vor der Messung in einem Zustand, wo alle Polarisationsrichtungen gleich wahrscheinlich sind. Nach der Messung befinden sich beide in einem Zustand, wo die Richtung genau bestimmt ist. Das geschieht augenblicklich, auch wenn die Teilchen inzwischen sehr weit voneinander entfernt sind.
Bis hierhin ist noch nichts Rätselhaftes passiert:
- Die Relativitätstheorie verbietet zwar augenblickliche Wirkungen auf entfernte Objekte, aber die genannte Wirkung zwischen den zwei Teilchen ist nur gedanklich. Der entfernte Beobachter merkt nicht, dass der Zustand des Teilchens durch unsere Messung verändert wurde. Für ihn ist die Richtung, in die es polarisiert ist, weiterhin rein zufällig.
- Bis jetzt spricht nichts dagegen, dass die Richtung von allem Anfang an bereits feststand und uns nur nicht bekannt war. Die Zustandsänderung wäre dann lediglich eine aktualisierte Wahrscheinlichkeitserwartung.
Das Erstaunliche kommt erst jetzt: Man kann zeigen, dass die Richtung nicht von vornherein feststehen konnte! Der Beweis geht so:
- Wenn die Polarisatoren der beiden Beobachter in exakt dieselbe Richtung weisen, dann gehen immer beide Lichtteilchen durch oder keines von beiden.
- Wenn ein Beobachter schlampig war und seinen Polarisator um 10° falsch ausgerichtet hat, dann gibt es einen Prozentsatz x aller Lichtteilchen, die nur durch seinen oder nur durch den Polarisator seines Kollegen gehen.
- Verdreht der entfernte Beobachter seinen Polarisator ebenfalls um 10°, aber in die entgegengesetzte Richtung, dann verursacht er, für sich genommen, ebenfalls x Prozent Fehler.
- Wenn die Fehler unabhängig voneinander sind – d. h. wenn das Licht eine bestimmte Polarisierung hat, die von den Beobachtern lediglich gemessen, aber nicht verändert wird – dann können sich die Fehler höchstens addieren (Bellsche Ungleichung), also auf insgesamt 2x.
- Tatsächlich ist der Fehler aber größer (in dem konkreten Fall 3,9x).
Im Kern ist diese Diskrepanz auf folgendes "Dilemma" zurückzuführen:
- Die verschränkten Lichtteilchen "wollen" unbedingt das Gleiche tun, wenn beide Polarisatoren gleich ausgerichtet sind.
- Sie können nur ganz oder gar nicht durch einen Polarisator gehen.
- Einen Polarisator, der um den Winkel a gegenüber ihrer Polarisationsrichtung verdreht ist, dürfen sie nur mit der Wahrscheinlichkeit cos2 a passieren (Gesetz von Malus).
Wenn die Lichtteilchen schon von vornherein eine bestimmte (uns unbekannte, zufällige) Polarisationsrichtung haben und diese beibehalten, dann würden sie aufgrund von Regel 3 nicht immer das Gleiche tun. "Entscheidet" sich Lichtteilchen 1, durch den Polarisator zu gehen, dann muss Lichtteilchen 2 die durch diesen Polarisator definierte Richtung übernehmen. Nur dann kommt es mit Wahrscheinlichkeit 1 (d. h. sicher) auch durch. Wenn beide Polarisatoren zueinander um 20° verdreht sind, dann ergibt sich der Fehler nach Regel 3 zu 1 - cos2 20°. Das ist aber mehr als 2·(1 - cos2 10°), weil 1 - cos2 a quadratisch wächst, d. h. eine Verdopplung des Winkels a führt (ungefähr) zur Vervierfachung des Fehlers (solange a nicht zu groß wird).
Grundlegende Folgerungen
Die Ergebnisse zeigen, dass einer anschaulichen Interpretation der Quantentheorie prinzipielle Grenzen gesetzt sind:
- Nimmt man an, dass die Messwerte, für die die Quantentheorie nur Wahrscheinlichkeiten angibt, "in Wirklichkeit" jederzeit einen bestimmten Wert haben, dann sind diese u. U. von weit entfernten Begebenheiten (wie der Ausrichtung eines Polarisators) abhängig.
- Verlangt man, dass so eine "spukhafte Fernwirkung" nicht auftreten darf, dann wird man die Wahrscheinlichkeiten nicht los und darf ihnen keine Realität zubilligen. Es tritt dann im Modell, aber nicht in der Realität eine Fernwirkung auf.[1]
Kein Paradoxon
Wenn du jetzt denkst: "Das kann doch nicht so sein!", dann bist du nicht der Einzige (siehe Einstein-
- Könnte man den Versuch mehrmals mit exakt den gleichen Lichtteilchen wiederholen, dann würde man direkt sehen, wie die Verdrehung des Polarisators 1 eine Änderung der Ergebnisse beim weit entfernten Polarisator 2 hervorruft. Doch das geht nicht, weil die Lichtteilchen in dem Versuch immer zufällige Polarisation haben (müssen). Beide Beobachter sehen daher nie etwas Auffälliges in ihren Messwerten. Wenn Beobachter 1 seinen Polarisator verdreht, ersetzt er beim Beobachter 2 eine Zufallsfolge durch eine andere. Erst wenn beide Beobachter ihre Messungen vergleichen, stellen sie eine Gesetzmäßigkeit fest (eine Korrelation).
- Könnte Beobachter 2 sein Lichtteilchen mehrmals vermessen, ohne dessen Quantenzustand zu ändern, dann könnte er herausfinden, wie Beobachter 1 seinen Polarisator ausgerichtet hat: In dieser Richtung würde das Lichtteilchen immer durchgelassen. Doch die Quantentheorie erlaubt nur eine Messung. Nach der Messung ist das Teilchen in einem anderen Zustand. (Es hat sich für eine bestimmte Polarisationsrichtung "entschieden" und bleibt dabei.)
- Könnte Beobachter 2 sein Lichtteilchen (inkl. Quantenzustand) vor der Messung vervielfältigen, dann könnte er auf diese Weise die Beschränkung auf eine Messung umgehen. Doch die Quantentheorie erlaubt auch kein exaktes Kopieren (No-
Cloning- ).Theorem
Das scheinbare Paradoxon ist für die Quantentheorie selbst überhaupt kein Problem. Es ergibt sich ganz natürlich, dass das, was an einer Stelle gemessen wird, mit dem verknüpft ist, was irgendwo anders gemessen wird.[2]
Mein Fazit
Verschränkte Quantenzustände zeigen, dass die Vorstellung von getrennten, eigenständigen Teilchen nur näherungsweise richtig ist.
Weiter
Siehe auch
- Doppelspalt-
Experimente mit verschränkten Teilchen – Auch hier ergeben sich scheinbare Paradoxa.
Weblinks
- Bellsche Ungleichung: Kontroverse Korrelationen, Spektrum der Wissenschaft, 30.7.2014 – Die Ergebnisse sind experimentell bestätigt, aber über "die Folgen für unser Weltbild" wird immer noch gestritten.
- Franz Embacher und Gregor Weihs zeigen in Form eines "Quantenspiels" (PDF), dass drei verschränkte Teilchen nicht von vornherein alle in einem bestimmten Zustand sein können (Veranschaulichung des GHZ-
Experiments ).
Quellen
[1] | Bram Gaasbeek: Demystifying the Delayed Choice Experiments (PDF), S. 3 |
[2] | Richard P. Feynman u. a.: Vorlesungen über Physik. Band 3: Quantenmechanik. München: Oldenburg, 1987 (amerik. Original 1963), S. 398f. |