Mario Sedlak
Quantentheorie
Wissenschaft
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Anschauliche Interpretation der Quantentheorie

Physiker wollen nicht nur rechnen, sondern sich auch was unter ihren Modellen vorstellen: Erst die physikalische Interpretation eröffnet neue, grundlegende Einsichten. In der Quantentheorie ist aber oft nicht einmal klar, was die Lösungen einer Gleichung bedeuten.[1] Die Objekte, aus denen die ganze Welt besteht, sind aufgrund der Quantentheorie "zu einem undeutlichen, verschwommenen Gebilde verblasst."[2] Niemandem ist es gelungen, den Welle-Teilchen-Dualismus und die Wahrscheinlichkeiten als Effekte eines grundlegenderen, leichter fassbaren Mechanismus zu interpretieren.[3]

Physiker, die sich damit abgefunden haben, meinen:

Die Gleichung weiß es am besten.[4]
Es ist falsch, zu glauben, dass es die Aufgabe der Physik sei, herauszufinden, wie die Natur beschaffen ist ... Die Physik befasst sich nur damit, was wir über die Natur sagen können. Dies war schon immer der Fall gewesen. Doch nie zuvor [vor der Quantentheorie] hatte es die Natur den Physikern so deutlich vor Augen geführt.[5]
Im übrigen muss man bedenken, dass es logisch überhaupt nicht notwendig ist, die mehr oder weniger abstrakten Vorstellungen einer physikalischen Theorie konkret auszudrücken.[6]

Andere Physiker (manchmal auch dieselben) widersprechen:

eine physikalische Theorie kann nicht den Anspruch erheben, vollständig zu sein, wenn sie sich darauf beschränkt, vorauszusagen, was man bei diesem oder jenem Experiment beobachten wird. Am Anfang jeder wissenschaftlichen Betätigung steht das fundamentale Postulat, dass die Natur objektive Realität besitzt, unabhängig von unserer sinnlichen Wahrnehmung und unseren Untersuchungsmethoden. Aufgabe der physikalischen Theorie ist es, über diese objektive Realität verständliche Aussagen zu machen.[7]
Alle Gegner der Quantentheorie sind sich ... über einen Punkt einig: Es wäre nach ihrer Ansicht wünschenswert, zu der Realitätsvorstellung der klassischen Physik ... zurückzukehren; also zur Vorstellung einer objektiven, realen Welt, deren kleinste Teile in der gleichen Weise objektiv existieren wie Steine und Bäume, gleichgültig, ob wir sie beobachten oder nicht.[8]

Verborgene Parameter

Die Brownsche Bewegung von winzigen Partikeln im Wasser erscheint rein zufällig. Wenn wir aber die Bewegungen der einzelnen Atome sehen könnten, dann klärt sich der Zufall vollständig auf.

Vielleicht ist es mit der Quantentheorie ähnlich: Manche Physiker glauben, dass die Teilchen in der Quantenwelt nur deswegen scheinbar zufälliges Verhalten zeigen, weil wir mit unseren beschränkten Beobachtungsmitteln keinen Zugang zu einem tiefer liegenden ("verborgenen") Sachverhalt haben.

Bohmsche Mechanik

David Bohm hat die Quantentheorie um einen unmessbaren Parameter ergänzt, wodurch Teilchen jederzeit einen bestimmten (allerdings unmessbaren) Ort besitzen und sich folglich auf einer Bahn bewegen. Die messbaren Ergebnisse der Theorie sind dieselben wie in der herkömmlichen Quantentheorie, wo der Begriff der "Bahn" eines unbeobachteten Teilchens keinen Sinn ergibt. Bohms Theorie (in der Wikipedia De-Broglie-Bohm-Theorie genannt) hat daher keinen praktischen Wert, sondern zeigt nur eine mögliche Interpretation der Quantentheorie. Diese ist allerdings nicht unbedingt plausibel:

Meine Meinung

Es wäre zwar schön, eine anschauliche Interpretation der Quantentheorie zu haben, aber notwendig ist das nicht. Vielleicht gibt es gar keine – die Natur ist nicht verpflichtet, uns einen Gefallen zu erweisen.

Wer glaubt, dass die Modellvorstellungen der Physik eine "objektive Realität" besitzen können oder gar müssen, ist auf dem falschen Dampfer. Eine Wissenschaft beschränkt sich auf das Wissbare, und die "wahre Wirklichkeit" bleibt uns immer verschlossen.

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Interpretation der Messung in der Quantentheorie

Weblinks

Quellen

[1] Richard P. Feynman u. a.: Vorlesungen über Physik. Band 3: Quantenmechanik. München: Oldenburg, 1987 (amerik. Original 1963), S. 168
[2] James Gleick: Richard Feynman. Leben und Werk des genialen Physikers. München: Droemer Knaur, 1993 (Original 1992), S. 13f.
[3] Albert Messiah: Quantenmechanik, Band 1. Berlin: de Gruyter, 2. Aufl. 1991 (Franz. Original 1969), S. 138
[4] Werner Heisenberg lt. James Gleick: Richard Feynman. Leben und Werk des genialen Physikers. München: Droemer Knaur, 1993 (Original 1992), S. 13f.
[5] Niels Bohr lt. James Gleick: Richard Feynman. Leben und Werk des genialen Physikers. München: Droemer Knaur, 1993 (Original 1992), S. 352
[6] Albert Messiah: Quantenmechanik, Band 1. Berlin: de Gruyter, 2. Aufl. 1991 (Franz. Original 1969), S. 138
[7] Albert Messiah: Quantenmechanik, Band 1. Berlin: de Gruyter, 2. Aufl. 1991 (Franz. Original 1969), S. 139
[8] Werner Heisenberg in Kurt Baumann, Roman u. Sexl: Die Deutungen der Quantentheorie. Braunschweig/Wiesbaden: Vieweg, 1984, S. 144f.
[9] Bild der Wissenschaft, 3/1996, S. 45

Seite erstellt am 26.8.2014 – letzte Änderung am 17.11.2020