Psychologische Argumente

Sebastian Bartoschek
Der unerschütterliche Glaube an Chemtrails ist irrational, erfüllt aber nicht die Definition einer psychischen Erkrankung.[1] Häufig ist bei Anhängern von Verschwörungstheorien vielmehr ein bekannter psychologischer Mechanismus in einer Extremform zu beobachten: selektive Wahrnehmung. „Sie suchen sich Gleichgesinnte, die ähnliche Grundüberzeugungen haben, und dann passiert etwas, was ich wirklich für gefährlich halte: dass sie sich von allen anderen Informationen abschotten, und nur noch das wahrnehmen, was in dieser kleinen Community besprochen wird“, erklärte Psychologe und GWUP-Mitglied Sebastian Bartoschek gegenüber dem WDR. Außenstehende können solche Leute kaum noch erreichen und ihnen ihre unbegründeten Ängste nicht nehmen. Wenn der Glaube an eine große Verschwörung hinreichend stark ist, dann nutzen sachliche Argumente nichts mehr, denn Verschwörungstheorien sind im Prinzip unwiderlegbar.

Protest gegen Chemtrail-Flüge
Der bekannte Chemtrail-Aufklärer Jörg Lorenz warnt davor, auf unsachliche Argumente auszuweichen. Ihm zufolge darf man zwar in aller Deutlichkeit sagen, dass die Theorie Unsinn ist – schließlich macht er das selber auf seiner Website Chemtrail-Fragen.de –, aber mit einzelnen Gläubigen diskutiert man besser auf einer wertschätzenden Ebene. Die Überzeugung vieler Skeptiker, dass es sich einfach um „Spinner“ handelt, hält Lorenz für kontraproduktiv und falsch. Vielmehr werden die meisten Menschen, die an Chemtrails glauben, von anderen dazu gebracht, sagt er nach jahrelanger Beobachtung der Szene.
Es ist blanke Manipulation in einem Riesenmarkt, an dem gut verdient und abgeschöpft werden kann.
Seiner Erfahrung nach kann man die Anhänger der Chemtrail-Theorie am ehesten zum Nachdenken bringen, wenn man ihnen aufzeigt, wie sie getäuscht wurden. Mit Originalen von Fotos, die Verschwörungstheoretiker falsch interpretiert oder verfälscht hatten, konnte Lorenz 2 oder 3 Unterstützer der Bundestagspetition 2010 gegen Chemtrails auf der Stelle überzeugen, dass sie hereingelegt wurden. Bei anderen dauerte die „Bekehrung“ länger. Am Anfang stand meinst ihr eigener Impuls, doch einmal die Argumente der Gegenseite genauer zu studieren. In diesen Fällen sind Materialsammlungen der Skeptiker hilfreich. Lorenz beobachtete immer wieder, dass sogar absolute Chemtrail-Fanatiker plötzlich „zur Realität zurückkehrten“.
Dem umtriebigen Anti-Chemtrail-Aktivisten Jörg Lorenz ist weiter aufgefallen, dass sich in letzter Zeit immer mehr Leute unter die „Chemmies“ mischen, denen es gar nicht um irgendwelche Streifen am Himmel, sondern nur um das Verbreiten ihres extremistischen und von Hass geprägten Weltbilds geht. Geschickt nutzen sie die Aufregung der entsetzten Chemtrails-Beobachter, die überall dort im Internet ihrem Ärger Luft machen, wo es auch nur entfernt um Flugzeuge oder Wolken geht. Lorenz hält es für sehr wichtig, den Leuten klarzumachen, wie die „Menschenfischer“ die Themen und die rund um sie geschaffene Aufmerksamkeit für ihre Zwecke missbrauchen.
Lorenz’ Fazit: Skeptiker sollten die Anhänger des „Chemtrail-Kults“ nicht einfach als „Verrückte“ abtun. Solche monokausalen „Erklärungen“ sind im Grunde genauso kritikwürdig wie die Verschwörungstheorien selbst. Man kann mit den Leuten, die an Chemtrails glauben, sehr wohl auch vernünftig reden bzw. ein entsprechendes Informations- und Hilfsangebot bereitstellen. Mit einem arroganten Auftritt dagegen scheucht man die Gläubigen nur noch mehr dorthin, wo sie sich ernstgenommen fühlen: in die Arme der netten Verschwörungstheoretiker.
Quellen