Mario Sedlak
Musik hören
Hauptthemen
Wissenschaft
Freizeit

Gänsehaut beim Hören von Musik

Dass man bei Kälte Gänsehaut bekommt, weiß jeder. Aber beim Hören von Musik? Manche kennen das überhaupt nicht und denken an einen Scherz, wenn ich davon erzähle.

Meine Beobachtungen

Die Gänsehaut lässt sich nicht willentlich hervorrufen. Sie tritt auf, wenn mir ein Musikstück besonders gut gefällt. Mit einem Kältegefühl ist diese Gänsehaut nicht verbunden. Es ist angenehm, sie zu spüren. Sie pflanzt sich langsam wie eine Welle über den Körper fort ("ein Schauer läuft mir über den Rücken"). Bei stärkeren Gefühlen ist die Geschwindigkeit i. A. größer, aber nie so schnell, dass sich scheinbar gleichzeitig am ganzen Körper die Haare aufstellen. Die angenehme Gänsehaut hält üblicherweise nur wenige Sekunden an, aber es können neue "Wellen" folgen.

Wenn ich beim Musikhören Gänsehaut bekomme, dann bin ich typischerweise voll auf die Musik konzentriert. An Tagen, wo meine Gedanken leicht abschweifen, bleibt die Gänsehaut meist aus.

Schauer treten eher bei neuen Liedern auf als bei solchen, die ich schon lange kenne. Oft genügt aber schon, dass an den Umständen irgendetwas neu ist, z. B.:

Bei einigen wenigen Liedern bekomme ich immer wieder Gänsehaut, und zwar bei Stellen, wo man einen lauten Schlag weit entfernt oder in einem großen Raum hört.

Schauer treten an unterschiedlichen Stellen am Körper auf. Irgendeine Gesetzmäßigkeit konnte ich dabei noch nicht feststellen.

Nicht nur bei Musik

Meine Theorie

Wie üblich möchte ich nicht nur staunen, sondern auch verstehen und habe mir daher auch zum Sinn der Gänsehaut beim Musikhören Gedanken gemacht. Ich vermute, Schauer treten dann auf, wenn man ungestört sein möchte (weil man sich ganz auf das Lied konzentrieren will). Das trifft sogar auch auf andere Situationen, die Gänsehaut auslösen, zu und liefert einen Ansatzpunkt für den evolutionären Ursprung der Gänsehaut beim Musikhören.

Die Gänsehaut signalisiert meiner Hypothese zufolge:

Ich möchte jetzt nicht spielen!

Bei uns Menschen ist dieses Signal offenbar so wenig nützlich wie die Gänsehaut bei Kälte, die nur bei einem dichten Fell wärmt. Der Reflex ist ein Überbleibsel, den wir von unseren Vorgängern im Artenstammbaum geerbt haben.

Offen ist, wieso man nicht immer, wenn man ungestört sein möchte, eine Gänsehaut bekommt. D. h. es gibt noch weitere, mir nicht bekannte Bedingungen über das Auftreten von Schauern.

Alternative Theorien

Diese Theorien stimmen mit meinem subjektiven Eindruck während einer angenehmen Gänsehaut überhaupt nicht überein. Ich glaube auch nicht daran, dass die mit Gefühlen verbundene Gänsehaut eine sinnlose Laune der Natur ist oder dass es sich um eine Art Fehlfunktion handelt, etwa weil der Körper im Gefühlsrausch zu viel Hormone ausschüttet.

Wissenschaftler haben die Theorie aufgestellt, dass die Gänsehaut die Gefühle beim Musikhören verstärkt und damit zu einem Training des Hörsinns motiviert.[1] Mir erscheint das aber nicht als plausibel, weil schöne Gefühle auch ohne Gänsehaut entstehen können. Die Evolution muss auch nicht den Vogel mit schönen Federn ausstatten, damit er gerne fliegt.

Wenig Interesse

Bemerkenswert finde ich, dass manche, mit denen ich darüber diskutierte, die Frage nach dem Sinn der angenehmen Gänsehaut für besonders uninteressant halten.

Auch die Psychologie schien dem Thema lange Zeit erstaunlich wenig Aufmerksamkeit zu schenken: Im 3-bändigen Lexikon der Psychologie[2] mit ca. 5000 Stichworten habe ich keinen Eintrag über Gänsehaut gefunden, auch nicht unter Musikpsychologie. Inzwischen wurden aber wissenschaftliche Beobachtungen zur Gänsehaut beim Hören von Musik gemacht.

Weiter

Musik hören: Wissenschaftliche Beobachtungen zur Gänsehaut beim Hören von Musik
Hauptthemen: Leben früher als Selbstversorger

Quellen

[1] Eckart Altenmüller und Reinhard Kopiez: Starke Emotionen und Gänsehaut beim Musikhören: Evolutionäre und musikpsychologische Aspekte (PDF), 2012, S. 61 (im PDF S. 7)
[2] Wilhelm Arnold, Hans Jürgen Eysenck, Richard Meili (Hrsg.): Lexikon der Psychologie. Freiburg i. Br.: Herder, 5. Aufl. 1988

Seite erstellt am 1.1.2013 – letzte Änderung am 30.7.2015