"Ohrwürmer" nach dem Hören von Musik
Fast jeder hat schon mal ein Lied "im Ohr" gehabt. Man "hört" dann eine Stelle daraus (ohne dass wirklich Musik spielt) immer wieder und oft singt oder summt man unwillkürlich mit. Bei vielen Menschen (wie auch mir) ist das kein seltenes Phänomen.
"Ohrwürmer" werden nicht nur von schönen Liedern ausgelöst, sondern oft auch von solchen, die man gar nicht mag, und sie können tagelang anhalten. Zuweilen wird das dann als "echte Folter" erlebt. Ich fühle mich von Ohrwürmern nie belästigt.
Unter welchen Bedingungen Ohrwürmer entstehen und wieso es sie überhaupt gibt, darüber ist nicht viel bekannt. Die Psychologie ist "eher ratlos".
Meine Theorie
Ich vermute, dass die Ohrwürmer dazu dienen, ein Lied besser zu lernen. Dazu passt, dass Ohrwürmer besonders bei neuartigen Stellen von Liedern, die man noch nicht so gut kennt, auftreten. Das Gehirn scheint die Ordnung in den ungewohnten Sinnesreizen entschlüsseln zu wollen.
Analogons von "Ohrwürmern"
Wie ich an mir selbst beobachtete, tritt etwas Ähnliches wie ein Ohrwurm nicht nur bei Musik auf. Das Gemeinsame ist, dass Erinnerungen an Sinneseindrücke ohne einen Auslösereiz abgerufen werden und dass dies fast so real wie eine Halluzination erlebt wird.
Beispiele:
- Wenn ich einen Menschen kennenlerne und länger sprechen gehört habe, dann "spuken" mir seine typischen Ausrufe, sein Tonfall usw. im Kopf herum.
- Auf meiner Radtour rund um den Neusiedler See "hörte" ich immer wieder das Summen meiner Kamera, das normalerweise beim Ein- und Ausschalten zu hören ist. Dieser "Ohrwurm" war fast täuschend echt und trat zu wahllosen Zeitpunkten mehrmals am Tag auf.
- Nach einer Unterrichtsstunde in der Tanzschule fange ich zuweilen plötzlich an, den Rhythmus der Zählweise (z. B. "vor – seit – schluss – ...") vor mir herzusagen (ähnlich wie ein Ohrwurm, den ich singe).
Auch bei allen anderen denkbaren Sinnesreizen habe ich unter bestimmten Umständen "ohrwurmartige Zustände" beobachtet:
- Während meines Zivildiensts musste ich mit einer rotierenden Bürste arbeiten, die so groß und unhandlich wie ein Staubsauger ist, sich aber schwer in eine Richtung steuern lässt. In einer kurzen Pause tauchten vor meinem Auge "Bilder" auf, wie die Maschine ausreißen will und ich dies zu verhindern suche – ähnlich wie hypnagoge Phänomene, jedoch ohne dass ich geschlafen oder auch nur die Augen geschlossen hätte.
- Als Kind erlebte ich nach einem Badeausflug zuhause nochmals, wie ich im Wasser herumwatete und den ungewohnten Widerstand des Wassers auf meinen Beinen spürte. Das waren jeweils kurze Episoden, die plötzlich zu Bewusstsein kamen, kaum länger als ein Augenblick.
- Auch ungewohnte Geschmacks- und Geruchserlebnisse werden mir von meinem Gehirn gelegentlich "wiederholt".
Der Unterschied zu Musik-
Ähnlicher Effekt
Beim Sehsinn sind Ohrwurm-
- Wenn ich etwas geschrieben habe, und mir gefällt das Layout, dann schaue ich mir das zuweilen minutenlang an. Das Gehirn will so offenbar jene Assoziationen festigen, die zu solch guten Ergebnissen führen. Dadurch wird die Intuition trainiert. (Ähnliches kenne ich von einer Frau, die sich nach gelungenem Styling lange im Spiegel betrachtet.)
- Auch bei einem schönen Foto, oder wenn darauf ein Mensch mit einem ungewöhnlichen Gesichtsausdruck abgebildet ist, drängt mich mein Gehirn dazu, das Bild lange und/oder immer wieder anzusehen, bis es sich nach einigen Tagen sattgesehen hat.
- Meinen ersten Joystick und meine erste Computermaus habe ich nicht nur einige Tage lang immer wieder angesehen, sondern auch in die Hand genommen, bis sie mir nicht mehr "ulkig" vorkamen.
Mein Fazit
Ohrwürmer beim Musikhören sind ein Spezialfall eines allgemeineren Phänomens. Ich finde es merkwürdig, dass ich das noch nirgendwo so gelesen habe.
Wenn das Gehirn einen Sinnesreiz von selbst wiederholt, dient das meines Erachtens dazu, diesen Sinnesreiz besser zu verstehen und mit bekannten Informationen zu verknüpfen. Das fügt sich nahtlos in meine Theorie, wonach alles, was Lebewesen tun, mit grundlegenden Bedürfnissen oder mit Lernen zu tun hat.
Dass Ohrwürmer auf eine "Überreaktion" oder sonstige Fehlfunktion im Gehirn zurückgehen, schließe ich aus.