Leben früher als Selbstversorger
"Autark sein" klingt gut. Das Leben als Selbstversorger wird heutzutage als erstrebenswerte Alternative zum Kapitalismus gesehen – viel angenehmer als die immer stressiger werdenden Jobs. Wie es wirklich war, zeigt ein Blick in die Vergangenheit, als ein Selbstversorger-
Beispiel
Der Litschauer Reinberg befindet sich tief im Waldviertel von Niederösterreich, nahe bei Eggern, Heidenreichstein und Litschau. Die Besiedelung erfolgte hauptsächlich in den Jahren 1728–
In dem Haus lebten meist mehrere Generationen einer Familie und Mitarbeiter; insgesamt oft um die zehn Personen.[3] Es gab eine klare Rangordnung und Aufgabenverteilung:[4]
- Der verheiratete Hausherr hatte das Sagen und vertrat das Haus nach außen. Jedes Fehlverhalten der Bewohner (z. B. uneheliche Schwangerschaft) fiel auf ihn zurück. Er arbeitete am Feld, im Stall und hielt die Gebäude und landwirtschaftlichen Geräte instand.
- Die verheiratete Hausfrau kümmerte sich um Nahrungsversorgung, Garten, Kleinvieh, Kleidung und versorgte Kinder und Alte im Haus.
Die tägliche Kost mit mehreren Mahlzeiten für eine große Familie herzustellen, bedeutete unter den damaligen Bedingungen stets eine große Herausforderung. Es wurde die gesamte Nahrung auf dem eigenen Hof produziert, das Brot gebacken, das Fleisch aus der Hausschlachtung aufgearbeitet und konserviert, sonstige Nahrungsmittel konserviert und eingelagert.
Meist gab es Brot, Brotsuppe, Hafergrütze, Haferbrei, Sterz usw. mit Gemüse, Salat und Obst; nur selten Fleisch, Erbsen, Linsen und Wicken. Für die Herstellung der Kleidung wurde Flachs angebaut und in den Wintermonaten zu Leinen verarbeitet.[5] - Kinder wurden "mit etwas Schonung oder kürzerer Arbeitszeit" für annähernd alle Arbeiten herangezogen. Auf dem Land ging kaum ein Kind zur Schule.
- Für betagte Mitbewohner war der Hof ein Auffangnetz. Es gab keine Pension, weshalb sie auf Mitversorgung angewiesen waren.
- Die Mitarbeiter machten meist die schwersten Tätigkeiten und schliefen in einer Kammer, auf einem Gang oder gar im Stall. Neben Kost und Quartier bekamen sie auch Kleidung und ein wenig Bargeld.
Die Bauern erwirtschafteten aus der Landwirtschaft nur geringe Bargeldeinnahmen. Da aber die ganze Bewirtschaftung auf Selbstversorgung ausgerichtet war, die wenigen Geräte und Werkzeuge im Winter selber ausgebessert und erneuert wurden und viele Arbeiten in gegenseitiger Nachbarschaftshilfe verrichtet wurden, wurde auch selten Bargeld benötigt.[6]
Um so eine Selbstversorgung zu ermöglichen, durften die Höfe nicht geteilt werden.[7] Trotz hoher Kindersterblichkeit kam es zu einem deutlichen Geburtenüberschuss,[8] weshalb nicht alle Kinder einen eigenen Hof bekommen konnten und die Partnerwahl früher nach materiellen Gesichtspunkten (Größe des Hofes) erfolgte.[9] Eine Liebesheirat war die Ausnahme.[10]
Vor- und Nachteile des Kapitalismus
Erst durch die gegen Ende des 18. Jahrhunderts einsetzende Industrialisierung und wegen des ständig steigenden Bedarfs an zusätzlichen Arbeitskräften konnte man auch ohne ausreichendes Grundstück heiraten und eine Familie gründen.[11]
Für die Bewohner von Reinberg-
Nachteilig war das schwankende Einkommen:
War viel zu tun, wurde einfach länger, d. h. bis in die späte Nacht gearbeitet; gab es keine Arbeit, versuchte man mit dem Ertrag der kleinen Landwirtschaft durchzukommen.[13]
Deswegen hatten auch die Häuser, in denen Arbeiter wohnten, genug Fläche für den Anbau von Grundnahrungsmitteln.[14] Während Wirtschaftskrisen und in den Jahren während und nach den beiden Weltkriegen war die Lage auf den Selbstversorgerhöfen nicht so dramatisch wie anderswo.[15]
Moderne Errungenschaften der Technik erreichten die ehemaligen Selbstversorger am Reinberg erst ziemlich spät:
Vor- und Nachteile von Mobilität
Auf Grund der schlechten Wirtschaftslage in der Zwischenkriegszeit war die Beschäftigungslage sehr unstabil und die Leute waren oft arbeitslos. Durch die geringe Mobilität wegen fehlender öffentlicher Verkehrsmittel und wegen eines Mangels von Betrieben in anderen Branchen in der näheren Umgebung war es auch für die heranwachsende Generation nur im geringen Ausmaß möglich, in andere Berufszweige zu wechseln.[18]
Besser wurde es erst nach 1955:
Die beginnende Motorisierung, zuerst durch Motorräder und Mopeds, später durch Autos, ermöglichte es, auch Arbeit außerhalb des unmittelbaren Nahbereichs anzunehmen.[19]
Die Kehrseite:
Auf Grund des Bevölkerungsrückganges und eines veränderten Einkaufsverhaltens gingen in den 70er Jahren die Umsätze des Kaufhauses und des Gasthauses [in Reinberg-Litschau] stark zurück. 1979 wurden beide geschlossen.[20]
Mein Fazit
Eine Rückkehr in die "gute, alte Zeit" ist nicht die Lösung für die Probleme, die der Kapitalismus und das Auto angeblich verursacht haben.
Weiter
Quellen
[1] | Martha und Franz Wagner: Reinberg-[2]
| Martha und Franz Wagner: Reinberg- | [3]
| Martha und Franz Wagner: Reinberg- | [4]
| Martha und Franz Wagner: Reinberg- | [5]
| Martha und Franz Wagner: Reinberg- | [6]
| Martha und Franz Wagner: Reinberg- | [7]
| Martha und Franz Wagner: Reinberg- | [8]
| Martha und Franz Wagner: Reinberg- | [9]
| Martha und Franz Wagner: Reinberg- | [10]
| Martha und Franz Wagner: Reinberg- | [11]
| Martha und Franz Wagner: Reinberg- | [12]
| Martha und Franz Wagner: Reinberg- | [13]
| Martha und Franz Wagner: Reinberg- | [14]
| Martha und Franz Wagner: Reinberg- | [15]
| Martha und Franz Wagner: Reinberg- | [16]
| Martha und Franz Wagner: Reinberg- | [17]
| Martha und Franz Wagner: Reinberg- | [18]
| Martha und Franz Wagner: Reinberg- | [19]
| Martha und Franz Wagner: Reinberg- | [20]
| Martha und Franz Wagner: Reinberg- | |