Mario Sedlak
Irrtümer­sammlung
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Katastrophale CO2-Bilanz von U-Bahn-Tunneln?

Stahlbeton ist CO2-intensiv in der Herstellung und wird im Tunnelbau in großen Mengen gebraucht. Aber ist es wirklich so schlimm:

Einer Studie zufolge bräuchten alle [in Berlin] diskutierten U-Bahn-Verlängerungen mehr als 100 Jahre, bis sie sich ökologisch lohnen.
Unter diesem Gesichtspunkt der Klimabilanz von Neubauten bei U-Bahnen bleibt zu überlegen, ob diese so wirklich sinnvoll sind.

Irrtum!

Die Studie enthält 2 gravierende Fehler, wodurch die errechnete CO2-Menge ca. dreimal so hoch wie tatsächlich ausfällt:

  1. Für Beton wird mit CO2-Emissionen von 0,33 t/t gerechnet.[1] Tatsächlich sind es laut der angegebenen Quelle (Ökobaudat) 0,33 t/m3. Durch Multiplikation mit der (richtigen) Dichte von 2,4 t/m3 ermitteln die Studienautoren um den Faktor 2,4 zu hohe Emissionen: 0,73 t/m3.
  2. Die Autoren schätzten den Stahlanteil im Beton auf 0,08 m3/m3.[2] Das entspricht 628 kg/m3.[3] Tatsächlich werden Zug- und U-Bahn-Tunnel mit 100–200 kg/m3 gebaut.

In Summe ergibt sich in der Studie für Stahlbeton ein CO2-Ausstoß von 1,67 t/m3 statt max. 0,65 t/m3, wenn es hochfester Beton mit Stahlanteil 200 kg/m3 ist.

Die CO2-Amortisationszeit der betrachteten U-Bahn-Tunnel beträgt daher nicht 109–230 Jahre, sondern höchstens 0,65/1,67 = 39% davon, also 43–89 Jahre (unter den von den Studienautoren getroffenen Annahmen insbesondere über die Zahl der Autofahrer, die auf die U-Bahn umsteigen).

Stellungnahme der Autoren

Ich habe die Autoren über die Fehler informiert. Sie antworteten mir am 28.6.2021, dass sie "zu diesem Thema ehrenamtlich/in unserer Freizeit gearbeitet haben, und nicht über die Möglichkeiten eines Ingenieurbüros verfügen." Den Fehler beim CO2-Emissionsfaktor von Beton haben sie anerkannt und korrigiert. Gleichzeitig haben sie den angenommenen Zementanteil von 17,3%[4] auf 30% erhöht. Dadurch kommen sie auf 1,245 t CO2 pro Kubikmeter Stahlbeton statt zuvor 1,67 t/m3, was immer noch weit höher ist als die 0,2–0,7 t/m3, die in anderen Studien und Ökobilanzdatenbanken verwendet werden.

Zur Begründung dieser Abweichung verweisen die Autoren auf "ganz andere, schwierigere Bedingungen" bei den geplanten Berliner U-Bahn-Tunneln (nahe am Grundwasserspiegel, großer Rechteck-Tunnel). Das ist aber nur ihre Vermutung, da ihnen "die zuständige Berliner Senatsverwaltung die Herausgabe von wichtigen Daten verweigert" hat.

Die 30% Zement haben sie aus einer Dissertation entnommen, doch an der angegebenen Stelle[5] ist von 30% Anteil des Spritzbetons am gesamten Beton die Rede, nicht von 30% Zementanteil im Beton!

Autoren änderten ihre Studie

Die auf ihrer Website bereitgestellte Studie haben die Autoren Anfang 2023 (endlich) aktualisiert, allerdings haben sie andere Annahmen so geändert, dass sich die Endergebnisse nur um 10% verbesserten. Der Tagesspiegel hat über die Korrektur berichtet ("Ein Mathematiker aus Wien fand den Fehler"), aber nur in einem kostenpflichtigen Artikel.

Folgestudie von anderen Autoren

Die falschen Zahlen wurden von einer Bürgerinitiative in einer Privatstudie zur Hamburger U-Bahn verwendet und so weiter verbreitet.

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Wege in Wien (Seite 32 von 43)

Weblinks

Quellen

[1] Matthias Dittmer, Frank Geraets, Axel Schwipps: Die Klimabilanz Berliner U-Bahn- und Straßenbahnplanungen (PDF), 2020, Tabelle 1 auf S. 8 – Auf S. 7 heißt es noch richtig, dass "für die Herstellung von einem Kubikmeter Beton (ohne Bewehrungsstahl – dieser wird gesondert berechnet) ein Wert von 300 kg CO2-Äquivalenten angegeben" wird!
[2] Matthias Dittmer, Frank Geraets, Axel Schwipps: Die Klimabilanz Berliner U-Bahn- und Straßenbahnplanungen (PDF), 2020, S. 7
[3]
  • Dichte von Stahl = 7,85 t/m3
  • 0,08 m3/m3 · 7,85 t/m3 = 0,628 t/m3
[4] Ökobaudat: Umwelt-Produktdeklaration Beton der Druckfestigkeitsklasse C 50/60 (PDF), S. 3 – Das ist der festeste Beton in Ökobaudat mit den höchsten CO2-Emissionen (300 kg/m3), und der wurde in der ursprünglichen Studie verwendet.
[5] Julia Sauer: Ökologische Betrachtungen zur Nachhaltigkeit von Tunnelbauwerken der Verkehrsinfrastruktur (PDF), TU München, 2016, S. 22 (im PDF S. 35) – "Aus dem Vergleich mit anderen Baustellen hat sich für die Studie ergeben, dass für die Betonherstellung hauptsächlich Puzzolanzement zum Einsatz kommt. Für Spritzbeton hingegen wird Portlandzement verwendet. Da dieser einen Anteil von 30 % am Gesamtbetonvolumen ausmacht, wird ein gewichteter Emissionsfaktor (70 % Puzzolanzement und 30 % Portlandzement) von Zement = 589,8 kg CO2/t verwendet."

Seite erstellt am 16.4.2021 – letzte Änderung am 24.4.2023