Mario Sedlak
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Wie Flugzeugflügel Auftrieb (nicht) erzeugen

Früher war häufig zu lesen:

Die Flugzeugflügel sind an ihrer Oberfläche gewölbt und unterwärts nahezu flach. Beim Voranfliegen fließt die Luft oben und unten an dem Flügel vorbei. Wegen der Wölbung an der Oberseite hat der Luftstrom dort einen weiteren Weg zurückzulegen als an der Unterseite. Er muss daher schneller fließen, um wieder mit dem unteren Luftstrom zusammenzustreffen. Je rascher die Luft sich bewegt, desto weniger drückt sie auf die Oberfläche des Flügels. Die langsame Luft unter dem Flügel drückt stärker nach oben als die Luft von oben nach unten drückt. Diese größere Kraft unter dem Flügel bewirkt den Auftrieb.[1]
Die Oberseite der Tragfläche ist gewölbt, so dass die anströmende Luft hier einen längeren Weg zurücklegt und deshalb schneller fließt als auf der flacheren Unterseite. So entsteht oben – nach einer physikalischen Gesetzmäßigkeit – ein Unterdruck.[2]
Flugzeugflügel funktionieren, indem sie die Luft in einen Teil oberhalb und einen Teil unterhalb des Flügels spalten. Die Oberseite des Flügels ist gewölbt, was bedeutet, dass die Luft über dem Flügel schneller als die Luft darunter fließen muss, damit sie am Ende die gleiche Position erreicht. Die Bernoulli-Gleichung sagt: ... Wenn die Geschwindigkeit zunimmt, muss wegen der Energieerhaltung der Druck abnehmen. ...[3]
Damit die Strömung nicht abreißt, müssen die Luftteilchen oben schneller sein als unten. Die Folge ist, dass der statische Druck unten größer ist und das Flugzeug abhebt.[4]

2022 erklärte Harald Lesch im ZDF:

Tatsächlich sorgt die Form des Flügels für den Auftrieb, also für das Fliegen. Die Luft umströmt den Flügel, der an seiner Oberseite leicht gewölbt ist und an der Unterseite eher glatt, d. h. die Luft muss oben eine längere Strecke zurücklegen, ist deswegen schneller, und so entsteht an der Oberseite des Flügels ein Unterdruck. Der saugt den Flügel quasi nach oben.[5]

Irrtum!

Screenshot

Quelle: NASA-Applet

Strömung um einen typischen Flugzeugflügel

Die falsche Theorie kann auch nicht erklären,

Tatsächlich ist für die Erzeugung von Auftrieb entscheidend, dass die Luft den Flügel hinten in Richtung Boden verlässt. Der durch die Luft gleitende Flügel erzeugt an seiner Rückseite einen Unterdruck, durch den die Luft – seiner Hinterkante folgend – nach unten beschleunigt wird. Siehe Physik eines Flugzeugflügels

Falsch angewandte Bernoulli-Gleichung

Behauptungen wie "hohe Geschwindigkeit = niedriger Druck" sind eine Übervereinfachung der Bernoulli-Gleichung. So ein Zusammenhang gilt nur in Rohren. Eine Strömung im Freien passt sich rasch an den Umgebungsdruck an. Nur wenn sie in eine Kurve gezwungen wird, erzeugt sie Über- oder Unterdruck. Dadurch wird die Strömung langsamer oder schneller – nicht umgekehrt.[6]

Vergangenheit

Die irrige Annahme, dass sich die Luft nach Passieren des Flügels wieder "treffen" muss, konnte bis zu einem Bericht des damals führenden Strömungsmechanikers Ludwig Prandtl aus dem Jahr 1921 zurückverfolgt werden. Er argumentierte, dass die Luft "aus Kontinuitätsgründen" nirgendwo mehr oder weniger werden könne und daher am Ende des Flügels wieder zusammentreffen müsse.[7] Tatsächlich erzeugt die oben früher ankommende Luft einen Wirbel, verletzt aber kein Naturgesetz.

Dennoch wurde die vollkommen falsche Theorie ab den 1920er Jahren von den meisten Lehrbüchern wiedergegeben.[8] 2001 dürfte sie noch weit verbreitet gewesen sein: auf der NASA-Website, in Schulbüchern, Universitäts-Lehrbüchern, Lexika und angesehenen Handbüchern für Piloten.[9] Seit ca. 2008 ist die klassische "Bernoulli und die Strömungen treffen sich hinten"-Geschichte nur noch selten zu lesen. Endlich scheinen die Aufklärer erfolgreich gewesen zu sein (aber der Streit über verschiedene andere Theorien und Ansichten zu den "wahren" Gründen, warum Flugzeuge fliegen können, geht bis heute weiter).

Weiter

Einfache Mund-Nasen-Schutzmasken nutzen ihrem Träger nichts? (Seite 9 von 9)

Quellen

[1] Mein großes Frage- und Antwortbuch. Inter Verlag, 1984, S. 44
[2] Vom Faustkeil zum Laserstrahl. Die Erfindungen der Menschheit von A-Z. Stuttgart: Das Beste, 1982 (Aus dem Engl.), S. 115
[3] Universität von Calgary (Kanada): Bernoulli's equation – "The shape of the wing of an airplane works by splitting the air into two sections, above and below the wing. The top of the wing is curved, which means that the air that flows over the top of the wing must flow faster than the air flowing beneath the wing to allow it to reach the same position in the end. As a result of Bernoulli's equation ... If the velocity of the air flowing over the wing increases, its pressure must decrease in order to conserve energy. ..."
[4] Schule 2003. Grundstock des Wissens Sekundarstufen I und II. Inkl. CD-ROM mit Testmodus und Internetlinks. Köln: Serges Medien, 2002, S. 255
[5] Terra X, ZDF, 23.1.2022, ab 27:58
[6] David F. Anderson, Scott Eberhardt: The Newtonian Description of Lift of a Wing (PDF), S. 12
[7] Peter Eastwell: Bernoulli? Perhaps, but What About Viscosity? (PDF), S. 9
[8] Klaus Weltner: Physics of Flight – reviewed (PDF), S. 1 – "explanations based on Bernoulli's law are dominating since the 1920s."
[9] John S. Denker: See How It Flies, Abschnitt Flow Patterns Near a Wing – "all sorts of standard references claim that the air is somehow required to pass above and below the wing in the same amount of time. I have seen this erroneous statement in elementary-school textbooks, advanced physics textbooks, encyclopedias, and well-regarded pilot training handbooks."

Seite erstellt am 19.11.2019 – letzte Änderung am 23.1.2022