Mario Sedlak
Irrtümer­sammlung
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Saugwirkung von Strömungen

Auf vielen Webseiten wird über die Bernoulli-Gleichung mehr oder weniger pauschal behauptet:

Daniel Bernoulli ... fand ... heraus, dass bewegte Luft, die an einer Stelle schneller strömt als in der Umgebung, an diesem Ort einen Unterdruck erzeugt.
Strömende Flüssigkeiten und Gase üben einen geringeren Druck auf ihre Umgebung aus als ruhende. Je höher die Geschwindigkeit, umso kleiner der Druck.
Zu erklären ist dies mit dem sogenannten Bernoulli-Effekt. Danach wird der Druck umso niedriger, je schneller die Luft strömt.
Danach entsteht ein Unterdruck, wenn ein Medium an einem Objekt schnell vorbeiströmt.

Auch in Schulbüchern heißt es:

Der Druck in strömender Luft ist umso kleiner, je größer die Geschwindigkeit der Luft ist.[1]
Der Druck in einer stationär strömenden schwerelosen Flüssigkeit ist umso kleiner, je größer die Strömungsgeschwindigkeit ist.[2]
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Löffel werden vom Wasserstrahl angezogen.

Versuche zum Nachweis des hydrodynamischen Paradoxons (Saugwirkung einer Strömung):
  • Hält man einen Finger in einen Wasserstrahl, so kann man deutlich sehen, wie der Wasserstrahl angesaugt und aus seiner Richtung abgelenkt wird.
  • Zwei Löffel werden in einen Wasserstrahl gehalten: Man spürt sehr deutlich die Kraft, die die Löffel gegeneinanderdrückt.
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...

Das Abdecken von Dächern erfolgt ebenfalls durch eine Saugwirkung. Oberhalb des Daches tritt durch die hohe Geschwindigkeit ein Unterdruck auf, während unterhalb des Daches der normale atmosphärische Luftdruck herrscht.[3]

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Strömung durch Rohre – Das ist der klassische und relativ problemlose Anwendungsfall der Bernoulli-Gleichung.

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Strömung ins Freie – Unterdruck ist möglich, aber nur relativ nahe an der Austrittsstelle.

Irrtum oder zumindest missverständlich

Eine schnelle oder langsame Strömung hat nicht automatisch einen tieferen oder höheren Druck! Die Bernoulli-Gleichung sagt nur etwas über Druck- und Geschwindigkeitsänderungen. Wenn z. B. eine Flüssigkeit oder ein Gas durch ein Rohr mit einer Engstelle strömt, dann hat das Medium in dieser eine höhere Geschwindigkeit und einen niedrigeren Druck als zuvor, wo der Rohrdurchmesser größer ist. Das gilt aber so nur für Strömungen in Rohren! Ein Luft- oder Wasserstrom im Freien nimmt rasch den Umgebungsdruck an, indem er sich aufweitet oder zusammengedrückt wird.

Im Freien entstehen Druck- und Geschwindigkeitsänderungen, wenn das strömende Medium umgelenkt wird:

Im Freien ist die Bernoulli-Gleichung nur dafür anwendbar, Druck- und Geschwindigkeitsänderungen ineinander umzurechnen. Dass ein Druckunterschied entsteht, ist anders zu begründen.

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Saugwirkung von fahrenden Zügen (Seite 7 von 9)

Siehe auch

Quellen

[1] Kaufmann, Zöchling: Physik in unserer Welt, Band 2, Wien: Hölder-Pichler-Tempsky, 2. Auflage 1997 (ISBN 3-209-01690-9), S. 59
[2] Josef Schreiner: Angewandte Physik, Teil 1: Mechanik, Thermodynamik, Optik, Wien: ÖBV & HPT, 1. Auflage 2001 (ISBN 3-209-00765-9), S. 76
[3] Kraker, Paill: Physik, Band 1 HTL: Mechanik, Wärmelehre, Wien: E. Dorner, 1990 (ISBN 3-900942-01-3), S. 103

Seite erstellt am 17.11.2019 – letzte Änderung am 24.4.2022