Lerntheorie über das Hören von Musik
Seit 1992 höre ich Musik. Solange fragte ich mich schon, wieso mir manche Lieder so viel bedeuten, dass ich sie mir immer wieder gerne anhöre. 2008 fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Musikhören ist Lernen!
Wieso bin ich da nicht gleich draufgekommen? Auch Spielen ist Lernen. "Reines Vergnügen" hat die Natur nicht vorgesehen, denn Individuen mit nutzlosen Vorlieben haben schlechtere Chancen im Leben.
Der Nutzen des Musikhörens liegt offenbar im besseren Verständnis der Situationen und Dinge, die der Hörer mit der Musik assoziiert. Die gängige Harmonietheorie über das Hören von Musik ist nicht falsch. Ein Lied muss sich gut anhören. Aber das ist eben nur ein Teil dessen, was nötig ist, damit es einem gefällt. Es muss auch für das Gefühl interessant sein. Das machen die Assoziationen. Und das Lernenwollen erklärt, wieso die Lieder, mit denen die Assoziationen verknüpft sind, interessant bleiben.
Passende Beobachtungen
- Es ist wohl kein Zufall, dass sich Menschen, denen klassische Musik gefällt, meist auch für alte Möbel und die "alte Zeit" allgemein interessieren. – Sie wollen alles über ihr Lieblingsthema lernen, genauso wie der Fan eines Films alles über den Film lernen will und sich deswegen die dazugehörige Filmmusik kauft (wobei es ihm aber so vorkommt, als sei die Filmmusik "einfach toll").
- In verschiedenen Lebensphasen bevorzugte ich unterschiedliche Musikrichtungen und die Veränderungen passen jeweils gut dazu, was mir im Leben gerade wichtig war. Darüber wollte ich dann offenbar was lernen, indem ich mir die entsprechende Musik anhörte.
- Ein und dasselbe Lied kann je nachdem, unter welchen Umständen ich es höre, mal viel und mal wenig in mir auslösen – obwohl das Lied selbst und die Assoziationen dazu gleich bleiben! Das ist nur mit der Lerntheorie erklärbar:
- Wenn es in einer Situation möglich ist, über etwas Schönes etwas Neues zu lernen, dann ist das Gehirn sehr interessiert und aufmerksam.
- Wenn es nicht möglich ist (z. B. beim Abspielen von Liedern in zufälliger Reihenfolge), dann nützt auch ein Überraschungseffekt nichts.
Zusammenfassung
Wenn du einen Hit schreiben willst, musst du meiner Theorie zufolge den Anschein erwecken, dass der Hörer in dem Lied etwas darüber erfahren kann, wonach er große Sehnsucht hat oder was ihn einfach sehr interessiert und emotional anspricht. Das Lied darf nicht zu einfach aufgebaut sein, sonst hat es der Hörer bald "verstanden" und verliert sein Interesse.
Gegenargumente
- Ich kenne nur meine Empfindungen sehr genau. Ob meine Theorie auf andere verallgemeinerbar ist, kann ich nur vermuten.
- Wahrscheinlich gibt es auch Fälle, wo Musikhören nicht zum Lernen dient, etwa wenn die Musik nur als Geräuschkulisse oder zum Meditieren gespielt wird. Im Detail kann man sicher noch viele weitere Einflüsse, die beim Musikhören eine Rolle spielen, entdecken.
- Was genau kann man beim Musikhören lernen? Dazu weiß ich keine konkrete Antwort. Vielleicht ist es ein Lernen auf einer Ebene unterhalb des Bewusstseins (Gehörtraining, Mustererkennung etc.); vielleicht ist es (auch) eine Art "Gefühlstraining" oder vielleicht nützt es wirklich bei der Partnersuche?
- Eine gute Theorie muss widerlegbar sein. Trifft das auf meine Theorie zu? Schließlich ist alles irgendwie lernen. Aber die passenden Beobachtungen (siehe oben) erscheinen mir nicht in ein vorgegebenes Korsett gezwängt. Wenn sie nicht da wären, würde ich meine Theorie in der Form aufgeben, anstatt zwanghaft Verbindungen zum Lernen zu sehen.
Offene Punkte
Die Theorie erklärt nicht den evolutionären Ursprung unserer Vorliebe für Musik.
Verallgemeinerung
Musikaufzeichnungen gibt es noch nicht lang. Früher war schöne Musik nur bei schönen Situationen zu hören. Aber macht es einen Unterschied, ob man sich zu der schönen Musik hingezogen fühlt, weil dort was Schönes passiert oder weil man durch sie etwas über Schönes lernt? Ich glaube nicht; beides ergibt das gleiche Verhalten.
Damit lässt sich meine Theorie sogar auf solche Dinge wie Flair ausdehnen: Der "Zauber" bestimmter Orte ist nicht messbar und existiert wahrscheinlich nur in der Gefühlswelt desjenigen, der ihn fühlt – womit seine Gefühle ihn genau dort hinschicken, wo sie sich schöne Erlebnisse oder zumindest neue Erkenntnisse erwarten.
Kritik und Freude
Meine Gefühle treiben mich dazu, mit meinem Denkvermögen so viele Geheimnisse wie möglich aufzuklären. Gefühlsmenschen glauben oft, solche Vernunftmenschen wie ich, die alles "zu Tode analysieren", hätten sicher keinen Spaß im Leben. Aber da irren sie sich! Es war eine ungeahnte Freude, das alte Rätsel gelöst zu haben! Noch dazu ganz von selbst! Musikhören ist ein Spezialfall von Lernen. Für mich, der die Welt verstehen will, ist das eine ergreifende Erkenntnis. Und ich versichere dir:
- Musik macht mir immer noch Freude.
- Es gibt noch mehr als genug Geheimnisse zu lüften.