Atomstromanteil im Stromnetz
Wie viel Atomstrom im österreichischen Stromnetz fließt, ist eine häufig gestellte Frage. Zwar ist Österreich frei von Atomkraftwerken, aber in fast allen unseren Nachbarländern stehen welche, und aus diesen fließt Strom über internationale Leitungsverbindungen zu uns. Daher ist es naheliegend, dass auch eine gewisse Menge Atomstrom in unserem Netz ist. Zur großen Überraschung von Laien ist der Prozentanteil dieser Energieform, die hierzulande so unerwünscht ist, auf seriöse Weise nicht einmal ungefähr berechenbar.
Gründe
- Strom hat "kein Mascherl". Der von einem Atomkraftwerk erzeugte Strom unterscheidet sich, physikalisch gesehen, in keiner Weise von dem Strom, der aus anderen Kraftwerken stammt. Daher kann der Atomstromanteil nicht durch Messungen im Stromnetz bestimmt werden.
- Obwohl bekannt ist, wie viel Strom auf jeder Leitung fließt, lässt sich daraus nicht eindeutig berechnen, aus welchen Kraftwerkstypen der Strom stammt. Greenpeace rechnete mit dem Erzeugungsmix des Nachbarstaates.[1] Das ist zwar sinnvoller als manch anderer Ansatz, aber letztlich ebenfalls willkürlich, denn der Strom kann auch aus weiter entfernten Staaten kommen oder im eigenen Land verbraucht werden. Die Annahme, dass von allen Kraftwerken der gleiche Anteil in den Export geht, ist angreifbar.
- Auch über die Handelsgeschäfte lässt sich die Stromherkunft nicht verfolgen. Z. B. kann ein Händler österreichische Wasserkraft nach Tschechien verkaufen und gleichzeitig eine gleich hohe Atomstrommenge von Tschechien nach Österreich importieren. Physikalisch heben sich beide Geschäfte auf. Daher sind sie in den veröffentlichten Handelsgeschäften nicht sichtbar. Sie müssen nicht einmal dem Netzbetreiber bekanntgegeben werden. Nur die Stromkennzeichnung ändert sich, d. h. der rechnerische Anteil von Atomstrom am Stromverbrauch – nicht im Stromnetz, in dem ja auch Stromtransite fließen.
Mein Fazit
Die Frage nach dem Atomstromanteil im Stromnetz hat keinen präzisen Sinn. Eindeutig ist nur der Anteil in Stromnetzen, die vom Rest der Welt getrennt sind.
- Z. B. ist in Island der Atomstromanteil unbezweifelbar bei 0%, denn Island hat keine Atomkraftwerke und keine Verbindungsleitungen zu anderen Netzen, daher kann dort kein Atomstrom verbraucht werden.
- In ganz Europa wird ca. 1/4 des Stroms von Atomkraftwerken produziert,[2] aber da das europäische Stromnetz auch einige Verbindungsleitungen nach Asien hat, kann der Atomstromanteil im europäischen Stromnetz auch ein wenig höher liegen – je nach Berechnungsweise.
- Für Teile des eng vermaschten europäischen Netzes oder gar für einzelne Leitungen wird man nie den "wahren" Atomstromanteil berechnen können.
Weiter
Strommarkt: Stromzähler | ||
Strommarkt: Kosten von Kraftwerken |
Siehe auch
- Stromkennzeichnung – Der Versuch, Strom doch "ein Mascherl" zu geben
Quellen
[1] | Greenpeace: Act, 3/2011 (PDF, 3 MB), S. 12 (im PDF S. 7) |
[2] | ENTSO- |