Falsche Anwendung von Ockhams Rasiermesser
Ockhams Rasiermesser kann nicht für das "Wegrasieren" von unwahrscheinlichen Hypothesen verwendet werden.
- Natürlich ist es unwahrscheinlich, dass Halme auf einem Getreidefeld von außerirdischen Raumschiffen umgeknickt wurden. – Es lässt sich aber nicht ausschließen, und die geringe Wahrscheinlichkeit der Hypothese kann auch nicht allein aus Prinzipien der Wissenschaftstheorie abgeleitet werden. Stattdessen muss mit Erfahrung argumentiert werden.
- Sicher wäre es voreilig, wenn jemand, der seine Schlüssel nicht gleich findet, an Kobolde glaubt. – Dennoch sind Spukphänomene grundsätzlich möglich und wissenschaftlich untersuchbar.
- Verschwörungstheorien sind unglaubwürdig, wenn sehr viele Stellen daran beteiligt sein müssten, ohne dass etwas nach außen dringt. – Ein Beweis der Theorie, etwa durch einen gut informierten Aussteiger, wäre jedoch immer denkbar.
In seltenen Fällen erweist sich das Unwahrscheinliche als wahr:
- "Am Himmel gibt es keine Steine, daher können auch keine Steine vom Himmel herunterfallen", hätte man aus dem falsch verstandenen Rasiermesser von Ockham schließen können, bevor die Astronomie Meteore entdeckt hat.
- Im 19. Jahrhundert hielten es Ärzte für unwahrscheinlich, dass sie Frauen auf der Geburtsstation mit tödlichem Kindbettfieber anstecken und eine verbesserte Hygiene das verhindern könnte. – Ignaz Semmelweis wies nach, dass sie sich irrten.
- Es ist extrem selten, dass unheilbar kranke Krebspatienten plötzlich wieder gesund werden, aber es kommt vor und niemand weiß wieso. – Es lassen sich nicht alle unerklärlichen Phänomene "wegrasieren".
Es ist natürlich vernünftig, wahrscheinliche Hypothesen zu bevorzugen, aber die unwahrscheinlichen können deswegen nicht verworfen werden. Mit Ockhams Rasiermesser lassen sich nur Annahmen, aus denen sich keine neuen, überprüfbaren Erkenntnisse ergeben, entfernen. Siehe Beispiele für die Anwendung von Ockhams Rasiermesser