Philosophie und Wahrheit
In der Philosophie kennt man viele Gründe, warum das Streben nach unumstößlicher Wahrheit zum Scheitern verurteilt ist:
- Immanuel Kant, John Locke und viele andere Philosophen haben festgestellt, dass wir die Welt nicht unbedingt so sehen, wie sie "wirklich" ist.[1]
- Aussagen durch andere Aussagen zu begründen, führt nie an ein Ende.
- Aussagen, die sich bewähren, für wahr zu halten, ist logisch nicht zwingend.[2]
- Eine fremde Macht, die unser Bewusstsein manipulieren kann, könnte uns dazu bewegen, die fantastischsten Wahnvorstellungen für wahr zu halten. Daher "sehen wir ein, dass nichts klar und nichts gewiss ist".[3]
- Descartes meinte: "Ich denke, also existiere ich." Hegel entgegnet: Reine Existenz ist ununterscheidbar vom "Nichts".[4] (So wie der Satz "Xintillität existiert" kein Wissen ist, solange nicht dazugesagt wird, was "Xintillität" sein soll.)
- Herbert Pietschmann fragt sich angesichts vieler Täuschungsmöglichkeiten, "ob es so etwas wie Realität überhaupt geben kann."[5] Die Urknall-
Theorie ist seiner Meinung nach nur ein "vergängliches Modell", vielleicht ein "Mythos"![6] - Am Himmel sieht man "nur Lichtpunkte".[7]
Nachdem die Philosophen ausführlich alles in Frage gestellt haben, überrascht mich, dass sie andererseits dann doch so tun, als könnte man in manchen Fällen die Wahrheit erkennen:
Auf die Naturgesetze können wir uns verlassen, sie gelten ohne Ausnahmen, sie sind absolut sicher.[8]
Ob ein Kasten offen oder versperrt ist, ist leicht feststellbar. Die Behauptung: "Der Kasten ist offen" kann wahr sein oder falsch. Die Öffnung nicht als Verifikation [= Beweis] zu sehen, bedarf einiger theoretischer Verkrampfungen.[9]
Das ist meines Erachtens der Grund für viele Missverständnisse! Die Philosophen scheinen anzunehmen, dass manche Aussagen nicht nur näherungsweise, sondern tatsächlich "wahr" sind. Andere Aussagen, wie etwa die Hypothese vom Urknall, sind hingegen selten so überzeugend wie das, was man mit eigenen Augen sieht. Daher sondert sie der Philosoph von den "Tatsachen" ab und kritisiert sie – obwohl die Philosophie doch selbst zu dem Schluss kam, dass alles, was wir von der Welt wissen, unsicher ist und daher kritisiert werden kann.
Ich halte es für ehrlicher und konsequenter, wenn man alle Aussagen über die Wirklichkeit nur für mehr oder weniger sicher "wahr" hält. Zu kritisieren wäre meiner Meinung nach nur ein Wissenschaftler, der behauptet, es ist genauso sicher, dass es einen Urknall gab wie dass der erwähnte Kasten offen ist – aber nicht alle Wissenschaftler, die bei der Deutung der "Lichtpunkte" am Himmel die Urknall-
Wo sollte man die Grenze zwischen "Tatsachen" und "unbewiesenen Annahmen" ziehen? Ist die Hypothese, dass es Atome gibt, etwa ein "Mythos" oder eine Tatsache? Ich finde es besser, zu sagen: Atome sind eine sehr gut bewährte Modellvorstellung – wie auch der Urknall.
Weiter
![]() | Philosophie und Modelle – Hier sehe ich weitere große Missverständnisse. |
Weblinks
- Die Wege der Wahrheit, Interview mit Karl Popper – "Ich weiß nichts, wir wissen nichts."
Quellen
[1] | Englische Wikipedia: Representative realism |
[2] | Erich Fromm in Hans Huber, Oskar Schatz (Hrsg.): Glaube und Wissen. Symposion des römischen Sekretariats für den Dialog unter der Patronanz der Bayrischen Akademie der Wissenschaften vom 24.– |
[3] | Leszek Kolakowski: Die Suche nach der verlorenen Gewißheit. Denk- |
[4] | "Being, the indeterminate immediate, is in fact nothing" |
[5] | Herbert Pietschmann: Die Wahrheit liegt nicht in der Mitte. Von der Öffnung des naturwissenschaftlichen Denkens. Stuttgart: Ed. Weitbrecht, 1990, S. 16f. |
[6] | Herbert Pietschmann: Die Wahrheit liegt nicht in der Mitte. Von der Öffnung des naturwissenschaftlichen Denkens. Stuttgart: Ed. Weitbrecht, 1990, S. 164f. |
[7] | Gerhard Schwarz bei einem Seminar an der Uni Wien am 7.3.2009 |
[8] | Herbert Pietschmann: Die Wahrheit liegt nicht in der Mitte. Von der Öffnung des naturwissenschaftlichen Denkens. Stuttgart: Ed. Weitbrecht, 1990, S. 153 |
[9] | Gerhard Pretzmann, Agemus Nachrichten Wien. Mensch und Umwelt aktuell, Nr. 45, S. 10 |