Mario Sedlak
Wissenschaft
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Längenänderung durch Gravitationswellen

Wenn Gravitationswellen an einem Ort durchlaufen, bewirken sie dort winzige Änderungen der Raumgeometrie.

Größenordnungen

Längenänderung auf der Erde (vermutete oder nachgewiesene) Ursache
10−26 = 10 Quadrilliardstel Hulse-Taylor-Pulsar (2 Neutronensterne, die ihren gemeinsamen Schwerpunkt in weniger als 8 Stunden umkreisen; Entfernung von der Erde: 21 000 Lichtjahre)
10−24 = 1 Quadrillionstel schnell rotierender, nicht 100% rotationssymmetrischer Neutronenstern
10−21 = 1 Trilliardstel 2 kleinere Schwarze Löcher oder Neutronensterne bei der Verschmelzung
3·10−21 = 1 Trilliardstel Entstehung eines Neutronensterns bei einer Supernova in 100 000 Lichtjahren Entfernung[1]
10−20–10−18 = 0,01–1 Trillionstel supermassive Schwarze Löcher, die einander umkreisen (in Zentren von Galaxien)
10−9–10−6 = 1 Milliardstel–1 Millionstel

Dichteschwankungen kurz nach dem Urknall

(Wieso diese entfernteste Ursache die stärkste Auswirkung hat, ist mir nicht bekannt. Allerdings ist die Schwingungsperiode dieser Gravitationswellen sehr lang – bis Milliarden Jahre.)

Die Längenänderung ist dem Abstand r von der Quelle umgekehrt proportional. Deswegen kann die Längenänderung z. B. durch die Entstehung eines Neutronensterns auch so geschrieben werden: 3·10−21 · 100 000 Lichtjahre/r (wobei r die Entfernung in Lichtjahren ist)

Bei Doppelsystemen mit 2 gleichen Massen ist die Längenänderung darüber hinaus der Frequenz hoch 2/3 und der Gesamtmasse hoch 5/3 proportional (siehe Formel).

Messung

Messbare Längenänderung (theoretisches oder bereits erfolgreiches) Verfahren
10−21 = 1 Trilliardstel Interferometer auf der Erde (LIGO)
10−20 = 10 Trilliardstel Interferometer im Weltraum (LISA)
10−15 = 1 Billiardstel genaue Messung von Pulsaren (Pulsar Timing Array)
10−14 = 10 Billiardstel genaue Messung der Funksignale von Raumsonden (Mikrowellen-Doppler-Tracking)[2]

Veranschaulichung

Populärer Irrtum

Oft heißt es, dass durch eine Gravitationswelle "der Raum selbst" gedehnt oder gestaucht wird. Das stimmt so aber nur, wenn der Raum leer ist.

Eine Gravitationswelle, die durch einen Festkörper läuft, etwa durch einen soliden Metallzylinder, wirkt auf dessen Atome wie eine zeitabhängige, gezeitenartige Kraft.

Diese Kraft kann den Festkörper nicht nennenswert verformen. Nur zwischen 2 Körpern, die sich frei bewegen können, ist die durch eine Gravitationswelle ausgelöste Längenänderung (d. h. die Änderung des Abstands der 2 Körper) messbar.[3]

Ein besseres Bild als das vom "Raum selbst", der gedehnt oder gestaucht wird, ist ein Beschleunigungsfeld:[4]

Es ist wie bei der Expansion des Universums.[5]

Andere Maßeinheit

Insbesondere bei Gravitationswellen, die aus einem Gemisch vieler Frequenzen bestehen, wird die Längenänderung häufig auf ein Frequenzintervall bezogen. Das ergibt dann die ungewöhnliche Maßeinheit "Kehrwert der Wurzel von Hertz" (1/√Hz), denn man geht von der spektralen Leistungsdichte in Watt pro Hertz aus, und die Leistung ist zum Quadrat der Längenänderung proportional.

Bezeichnung

Die maximale Längenänderung, die eine Gravitationswelle an einem Ort verursacht, wird von Physikern auch Amplitude genannt (und sie sprechen genauer von der relativen Längenänderung, aber das ist meines Erachtens eh klar, dass man nicht von der Längenänderung eines bestimmten Körpers spricht, ohne diesen zu nennen).

Weiter

Frequenzen von Gravitationswellen

Quellen

[1] Vorlesungsskriptum Gravitational Waves (PDF), S. 38 – 30 kpc ≈ 100 000 Lichtjahre
[2] Vorlesungsskriptum Gravitational Waves (PDF), S. 44
[3]
  • Physiker Domenico Giulini: Gravitationswellen. Hintergrund – Theorie – Anwendung (PDF), S. 13 – Die Amplitude "h gibt die relative Abstandsänderung zweier kräftefrei gelagerter Massen an ... In einem Festkörper sind die Massenelemente nicht kräftefrei, sondern durch unterschiedliche Kräfte in einer geometrischen Gleichgewichtslage, die durch eine GW-Welle gestört wird."
  • Physiker Markus Pössel, 11.2.2016: "Festkörper werden durch eine durchgehende Gravitationswelle kaum beeinflusst (Konkurrenz zwischen den formgebenden Kräften und der winzigen Beschleunigung aufgrund der Gravitationswelle), frei fliegende Teilchen maximal."
[4]
  • Physiker Markus Pössel, 1.6.2016: In einem "lokalen [Bezugs-]System macht sich die differentielle Beschleunigung durch die Gravitationswellen in Konkurrenz mit den Bindungskräften bemerkbar. Bei solchen (und anderen) Fragen führt das Bild vom 'Raum selbst, der sich ausdehnt' (oder staucht) zu falschen Vorstellungen."
  • The Secret History of Gravitational Waves, American Scientist, 3–4.2018 – "Gravitational waves are essentially tidal disturbances that ripple across space. As they pass an object, they stretch it in one direction and squeeze it in another, just as lunar tidal forces do to the Earth."
[5] Physiker Markus Pössel, 1.6.2016: "Die Situation ist genau wie bei der kosmischen Expansion".

Seite erstellt am 1.5.2023 – letzte Änderung am 28.11.2023